gesualdo dub / raum mit gelöschter figur
(2012)1(=picc).0.2(I=Ebcl,I-II=bcl).1(=dbn)-1.1.1.0-perc(3):timp/tgl/crot/2susp.cyms/vib;tgl/crot/Thai.gongs/tam-t;tgl/steel.drum/tam-t/t.bells/bell.plates-harp-elec.org-str(1.1.1.1.1)
Abbreviations (PDF)
Sikorski
„Dub ist heutzutage eine stilübergreifende Produktionsweise elektronischer Musik. Sie besticht durch weite Hallräume, Echoverzögerungen, Panoramaverschiebungen und differenzierte Modulationseffekte. Durch die Veränderung des Halls wandern Klänge vom präsenten Vordergrund in die Raumtiefe. Aus der Kombination von Reverb und Delay resultiert ein typischer Dub-Effekt, bei dem sich die Echoverzögerungen – zum Beispiel einzelner Schläge oder Akkorde – allmählich im Raum verlieren. Durch verschiedene Verzögerungszeiten des Delays entstehen zusätzliche polyrhythmische Ebenen.
‚Objet trouvés‘ aus Carlo Gesualdos berühmtem Madrigal ‚Moro lasso‘ wurden solchen elektroakustischen Prozeduren unterzogen. Das Resultat wurde dann in einer ‚synthèse sonore instrumentale’ für Instrumente transkribiert. Das hört sich moderner an, als es ist. Im Grunde ist es ein Verfahren, das man zu Gesualdos Zeit bereits kannte: die Anamorphose – das Zerrbild eines Gegenstandes, das erst in einem Rundspiegel das Original erkennen lässt.
Genau dieses Verfahren hat mich auch bei diesem Gesualdo-Stück interessiert. Ich erhalte Klangräumlichkeiten, die mit denen Gesualdos scheinbar nichts mehr zu tun haben. Es sind Räume mit einer gelöschten Figur. Gelöscht heißt aber nicht ausgelöscht. Wie bei jedem Löschvorgang im Computer bleibt eine Spur erhalten, die das Ursprüngliche wieder rekonstruieren lässt. Vergleichbar einem psychedelischen Zustand jenseits der Vernunft.
Klänge stehen still oder kommen ins Schweben, beginnen zu flirren, lösen die ursprünglichen Koordinaten auf. Raumverwirrung ist jeder Anamorphose eingeschrieben: Dehnung, Zerrung, Stauchung, Spiegelung, wiederholt bis zur unendlichen Verschachtelung: fraktalisiert.
Ein Stück über die Einsamkeit des Klaviers, über seinen dem Verstummen geweihten Resonanzklang, der im Ensemble wie durch ein Prisma gebrochen weiter schwebt. Die Melancholie des Gesualdo Originals erfasst alles um sich, ich kann ihr nicht mehr entkommen. Und doch bin ich frei.“ (Marko Nikodijevic)