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UNSICHTBAR LAND
(Invisible Land) (2004/05)Helmut Oehring, Torsten Ottersberg and historical sources (G-E)
3 deaf sign language artists; S,M,CT,T,BBar; speaker; chorus(12S.8A.10T.10B); solo elec.git; solo trp; solo bcl; 2(I,II=picc).0.1.bcl.tsax.0.dbn-3.3.3.1-perc(3)-tuned pft(=cel)-strings(4.2.0.6.6); baroque ensemble:2ob.1bn-theorbe-vla da gamba-cem(=org)-strings(2.2.1.1.1)-live electronics-2video beamer,3slide projector,sliding overtitle projection
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Theater, Basel
Claus Guth, Regisseur
Conductor: Jürg Henneberger
Company: Ensemble, Chor und Orchester des Theaters Basel
In UNSICHTBAR LAND verweben sich zwei Geschichten, "Der Sturm" von Shakespeare und eine gescheiterte Expedition in die Eislandschaft. Fremde Welten begegnen sich und fließen ineinander.
In Shakespeares "Sturm" lebt Herzog Prospero nach seiner Verbannung vom Hofe mit seiner Tochter Miranda auf einer einsamen Insel. Dort hat er sich die beiden Inselbewohner, den Luftgeist Ariel und den "Wilden" Caliban, untertan gemacht. Mit Magischen Kräften und Ariels Hilfe entfacht Prospero einen Sturm, damit seine höfischen Gegner auf der Insel Schiffbruch erleiden. Während die Höflinge über die Insel irren, führt Prospero Miranda mit dem jungen Ferdinand zusammen; die beiden verlieben sich. Schließlich gibt sich Prospero seinen Feinden zu erkennen und vergibt ihnen. Er entsagt der Magie und entlässt Ariel in die Freiheit.
Am 15. Dezember 1914 sticht der Polarforscher Sir Ernest Shackleton mit dem Expeditionsschiff "Endurance" in See. Auf dem Schiff befinden sich 27 offizielle Expeditionsteilnehmer und ein Blinder Passagier: Das Ziel der Reise ist die erste Durchquerung des antarktischen Kontinents von Küste zu Küste über den Pol. Shackleton und seine Mannschaft erreichen ihr Ziel nicht. Die "Endurance" wird im treibenden Packeis eingeschlossen und ein paar Monate später von den tonnenschwerden Eismassen zermalmt. Die Mannschaft flüchtet auf driftende Eisschollen. Es folgt ein Marsch ums Überleben, der auf einer unbewohnten Insel sein vorläufiges Ende findet. Erst am 30. August 1916 können die letzten Männer der Crew gerettet werden.
Bettina Auer
Es geht wieder einmal
– wie immer und auch korrekterweise –
um Macht, Tod und Liebe
und um die Kämpfe des ururalten Ariel,
von dem niemand weiß – auch nicht William S. –, woher er kam,
um uns Menschen zu lehren,
mit der Macht, dem Tod und der Liebe umzugehen.
Und genau dies spielt sich auch im Orchester,
in den Gesangsstimmen, im Chor und den Soloinstrumenten ab,
sehr viel verborgener natürlich,
als fürs Auge oder den Verstand wahrnehmbar,
aber man sollte es fühlen können:
Wie das Orchester in der Nacht versinkt
und der Chor in schäumenden Sturmwellen ersäuft.
Die Sänger/innen zeitweise aus Angst vor dem Unsichtbaren
die Stimme verlieren und von den gehörlosen Luftgeistern Ariels Gebärden lernen.
Der Vater um seine Tochter bangt.
Und Ariel ist einfach nur müde und sehnt sich nach seinen fernen Sternen.
Gebärden könnte von Gebären kommen.
Die älteste Sprache der einen Seite dieser Welt,
die Mutter aller Sprachen,
zusammen auf einer Bühne, in einem Raum
mit der klingenden singenden Sprache der entgegengesetzten Seite dieser Welt.
Nur zum Beispiel:
»... Da war eine Architektur, die sich im Wasser spiegelt;
da waren Wellen, die sich bilden und wieder zusammenstürzen;
Zweige, die einschlafen;
Pflaumen, die herabfallen, sich zu Tode quälen und Gold bluten.
Aber das alles murmelte, stammelte,
hatte keine menschliche Stimme gefunden, um sich auszudrücken.
Tausend unbestimmte Wunder der Natur haben endlich ihren Übersetzer gefunden.«
(Jean Cocteau)
Jede Orchestergruppe und jedes Instrument des Barockensembles,
jede Gesangsstimme, jedes der 3 Soloinstrumente, jede Bewegung, jeder Laut,
jeder Klang des elektronischen Surround Sounds
ist eine Übersetzung des letzten Shakespeare-Werkes: Der Sturm.
Sie alle werden zu Personen auf der imaginären Bühne
hinter der, die wir sehen werden,
Bilder an Wänden und Worte aus Büchern,
die Klänge stemmen sich gegen das Verlieren und Vergessen
und leben doch vom und durch das VERGEHEN.
Sie müssen unbedingt unsichtbar werden, um die größte ihrer Wirkungen zu entfachen...
Das Verschmelzen von Gebärde und Klang,
das Verfließen vom Jetzt mit Vergangenheit
ist eine jener Berührungen, die nur in der Oper zu erleben sind.
Und kurz, nur einen AugenBlick, ganz kurz steht die Welt still,
und bevor jede/r wieder hinaus tritt,
hat vielleicht diese Berührung mit dem Unsichtbaren
eine Verwandlung oder »ihren Übersetzer gefunden«.
© Helmut Oehring, 2006
dramatisch, poetisch