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Alkmene
(1959-61)Libretto by the composer, after Heinrich von Kleist's 'Amphitryon' (G)
S,colS,2T,Bar,4B; chorus; ballet;
3(II,III=picc).2(II=corA).2(II=Ebcl).altocl(bhn).bcl(=altocl or bhn).2tsax.bsax.3(III=dbn)-4.8.4.1-timp.perc-2harps-strings;
On-stage:2picc.fl.3sax-4hn.2ttuba-perc-pft-org;
reduced orchestration: 2.picc.2.2.altocl.bcl.2.dbn-4.4.3.1-timp.perc(4)-2harps-cel(pft)-org(harmonium)-strings;
other orchestrations with further reduction are possible; stage music can be played from orchestra, but preferably on tape
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Berlin
Rudolf Sellner, Regisseur
Conductor: Heinrich Hollreiser
Company: Deutsche Oper Berlin
JUPITER | Bariton |
MERKUR | Hoher Baß |
AMPHITRYON, Feldherr der Thebaner | Tenor |
ALKMENE, Gemahlin des Amphitryon | Sopran |
SOSIAS, Diener des Amphitryon | Hoher Baß und Sprechstimme |
CLEANTHIS, Gemahlin des Sosias | Kol. Sopran |
Ein Feldherr | Baß |
Zwei Oberste | Tenor, Baß |
Olympische Götter, Volk, Feldherren |
Theben in mythischer Zeit
Jupiter läßt Merkur Vorbereitungen für ein neues amouröses Abenteuer treffen. Er hat sein Auge auf Alkmene geworfen, die schöne Frau des Thebaner Feldherren Amphitryon, den ein Krieg gegen Athen von zuhause fernhält. Der Gott, der sich den Menschen nicht leibhaftig zeigen darf, wählt sich Amphitryons Gestalt und verbringt mit Alkmene, die ihn für den frühzeitig zurückgekehrten Gatten hält, die Nacht.
Als Amphitryons Diener Sosias am nächsten Morgen erscheint, um den Sieg über die Athener und die Rückkehr des Heers zu melden, stößt er auf sein Spiegelbild alias Merkur, der während der Nacht Wache geschoben hatte. Ein tolles Spiel um Schein und Sein hebt an und schafft Verwirrung und Bestürzung. Alkmene ist nicht wenig überrascht, den Gatten nach wenigen Stunden zum zweiten Mal als Heimgekehrten zu begrüßen. Amphitryon, der einen Nebenbuhler argwöhnt, geht Zeugen holen, die beweisen sollen, daß er das Lager nachts nicht verlassen hat. Alkmene, tief gekränkt, denkt schon an Trennung, da erscheint ihr erneut Jupiter-Amphitryon und bekennt: „Es war kein Sterblicher, der dir erschienen, Zeus selbst hat dich besucht.“ War es nicht so, daß sie, wenn sie zum Gott gebetet hat, ihn in Amphitryons Gestalt sich vorgestellt, da anders ihrem Geist er nicht zu fassen war? Wer ist es wirklich, den sie liebt? Die herbeigeholten Hauptleute und das Volk von Theben sehen sich mit zwei Amphitryonen konfrontiert und halten Jupiter für den echten. Da gibt sich dieser zu erkennen und offenbart Alkmene, daß sie in dieser Nacht einen Sohn empfangen habe, der den Namen Herkules tragen werde. Als Jupiter im Sonnenwagen zum Olymp entschwindet, erwacht Alkmene in den Armen Amphitryons aus ihrer Ohnmacht.
Gieselher Klebe: Über meine Oper Alkmene
Das Libretto meiner Oper Alkmene beruht auf einer Bearbeitung des Amphitryon von Heinrich von Kleist. Die Titeländerung in Alkmene soll anzeigen, daß bei der Stoffbehandlung eine Akzentverschiebung stattgefunden hat. Die ganze Handlung wird von der zentralen Empfindungswelt der Alkmene aus gesehen und auf sie bezogen. Goethes Kritik an Kleists Amphitryon, die von der "Verwirrung der Gefühle" spricht, soll zum Kriterium des Gefühls an sich werden, um dessen Unbestechlichkeit klar hervortreten zu lassen. So wird Alkmene zur absoluten Zentralgestalt. Ihre Seele und ihre Reaktionen werden nach der Kapitulation des Intellekts zu untrüglichen Gradmessern der auf sie einstürmenden Realitäten. Durch dieses Gefühlskriterium werden aber auch diese Realitäten zu Relationen, ihre absolute Erscheinungsform wird in Frage gestellt. Alkmenes letztes "Ach" umschließt einen Kreis gedachter und gefühlter, wirklicher und transparenter Erscheinungen, die alle nur durch die Gefühlswelt beweisbar wären.
Dieser Gefühlswelt wird Jupiter gegenübergestellt. Seine Erscheinung soll vom Verdacht des Leichtsinns und des Abenteuerhaften befreit sein. An ihm soll zu erkennen sein, wie seine mit göttlicher Heiterkeit gemischte Absicht, vernunftmäßiges Wollen und gefühlsmäßiges Erleben, an Alkmenes reinem und dadurch absolutem Gefühl zur Relativität werden. Seine Reaktion und sein Erkennen umreißen in diesem Moment seine Göttlichkeit, der Kreis schließt sich auch hier, gezieltes Wollen und intellektuelle Absicht verschwinden hinter umfassendem Gefühl.
Amphitryon hingegen wird leidenschaftlich-emotional das Zerrissensein eines noch nicht zentralen Gefühls zum Ausdruck bringen. Sein Handeln erreicht nur langsam die Gefühlsintegrität Alkmenes. Dieser Prozeß der Gefühlsläuterung vom laut lärmenden, beleidigten und fragwürdigen Ehrgefühl über echt und tief empfundene Kränkung bis zur einfach geklärten Liebesempfindung geht wechselvoll aber in eindeutiger Zielrichtung auf eine allumfassende von jeder Eitelkeit freie Gefühlsemfpindung vor sich.
Sind Amphitryon und Jupiter in Alkmene eine Person, geben sie gleichsam sich gegenseitig als Perspektive einer Person, so umkreist die Gefühlswelt der Cleanthis, des Merkur und des Sosias das gleiche Gefühlszentrum, doch mit umgekehrten Vorzeichen und dem Aspekt der sachlichen Ironie.
Die so vorhandenen Handlungsdreiecke Alkmene-Jupiter-Amphitryon und Cleanthis-Merkur-Sosias treten untereinander in fortwährend wechselnde Beziehung, ohne ihr eigenes Verhältnis zu ändern. Dieses gleichgewichtige Beziehungsverhältnis führte sich zu einer Symmetrieanlage, die als seriell entwickeltes Entsprechungsnetz alle dramaturgischen und musikalischen Elemente der Oper durchdringt.
Um die Gestalt des Jupiter und seine mediterrane Göttlichkeit von jeder Galanterie freizuhalten und um dem Zuhörer und Zuschauer nicht den mindesten Zweifel über seine wahre Person zu lassen, habe ich der bei Kleist mit Sosias beginnenden Handlung eine Szene vorangestellt, die Jupiter in seiner wahren Gestalt zeigt und während der er vom Gefolge der Aphrodite in die Gestalt des Amphitryon verwandelt wird. Diese Szene ist die Analogie zur Rückverwandlung Jupiters in seine wahre Gestalt am Ende der Oper. Am Beginn der Handlung steht das Erscheinen des Sonnenwagens, der seine Tagesfahrt beendet hat; während der Verwandlung Jupiters in Amphitryon setzt die Dämmerung ein, die mit dem Szenenwechsel zur Sosias-Szene zur völligen Nacht wird. Analog zum Beginn endet die Oper mit der gleichen Sonnenwagen-Erscheinung und dem Einsetzen der Dämmerung: Vierundzwanzig Stunden sind vergangen und in Alkmenes "Ach" liegt ebensoviel neues Wissen wie unbewußtes Begreifen bis zur überrealen Möglichkeit des Gar-nicht-Gewesenen.
Die musikalische Gestaltung geht von der Gesangsoper aus. Ausdruck, Emotion und Passion vollziehen sich vornehmlich in Gesang. Das Orchester erhält die Funktion der Begleitung und der klanglichen Perspektive, ohne in den Bereich des sinfonischen Dramas zu kommen. Die Charakterisierung der einzelnen Personengruppen geschieht durch Leitintervalle bei den Göttern – Jupiter: große Sept und kleine None, Merkur: Wechsel von kleiner und großer Terz, olympische Götter: einheitliche Akkord-Konstellationen; Alkmene, Amphitryon, Cleanthis und Sosias haben keine Leitintervalle, neben dem reinen Gesang umfassen aber ihre Partien kleiner und größere gesprochene Teile. Die Bewohner des Olymps werden durch Chor und Ballett repräsentiert; Feldherren, Oberste und Thebaner durch kleinere Solopartien, kleinen und großen Chor dargestellt.
Der Formablauf wird durch Nummern gegliedert, alle musikalischen Bezogenheiten durch serielle Verhältnisse, die die gleichen der dramaturgischen Gestaltung sind, gebildet. Eine Hauptreihe und zwei Nebenreihen – jede aus den 12 Halbtönen gebildet – werden durch Permutationen auf einander bezogen, die von einem Streuungsbereich symmetrischer Verhältnisse abgeleitet sind. Ausgehend von der Klarheit der Situationen die rhythmisch-metrischen Kombinationen relativ einfach, so verdichten sie sich im gleichen Verhältnis zur Undeutbarkeit bestimmter dramatischer Momente, um in den Höhepunkten in einen aleatorischen Komplex umzuschlagen. Diese Teile der Partitur sind in den rhythmischen Werten genau und im tempo-metrischen Bereich innerhalb bestimmter Grenzwerte völlig frei gehalten. Die Übergänge zu diesen Teilen werden zudem durch die Klangperspektive verschiedener Instrumentalkopplungen, die hinter der Szene mit dem Orchester korrespondieren, verdeutlicht.
dramatisch, heiter, poetisch