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BlauWaldDorf weit-aus-ein-ander liegende Tage
(BlueWoodVillage distantly apart days) (2001)Based on texts by Hans Christian Andersen and Helmut Oehring as well as from Friedrich Schiller's 'Die Jungfrau von Orleans', Monteverdi and Rinuccini's 'Lamento d'Arianna', Thomas More's 'Utopia', Johann Sebastian Bach's BWV 21 and Psalm 69 (G)
3 deaf female soloists,Bar,B; chorus;
solo elec.gtr-1.1.2.bcl.0-3.3.3(III=dbtrbn)-perc(3)-prepared pft(=cel,kbd sampler)-strings(8.4.6.4.3)-live electronics
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Theater Aachen, Aachen
Claus Guth, Regisseur
Conductor: Jeremy Hulin
Company: Theater Aachen
In BlauWaldDorf sind Ort und Zeit aus den Fugen geraten. Die "musiktheatralische OrtSuche" verweigert die Existenz des Ortes, den es zu suchen vorgibt, ebenso hartnäckig, wie es uns mit der Fiktion eines bläulich-ozeanischen, magischen Seelengrundes verführen will, aus dem die Meerjungfrau mit duftig-schwebenden Träumen einer allegorischen Kindheit lockt. Die Klänge, Gebärden, Bilder fügen sich nicht zu einem "Gesamtkunstwerk". Oehring liest sie als Versuche einer Sprachfindung, umkreist sie, tastet sie ab nach den Wünschen, Hoffnungen, Möglichkeiten einer bruchlosen, unmittelbaren Kommunikation. Wie in der Kindheit, die BlauWaldDorf beschwört, so wird auch im Werk selbst die Welt aus der Bewegung von Licht, Klang, Duft und Sprachlauten aufgebaut. Dieses synästhetische Mosaik fügt sich allenfalls zur Fata Morgana eines Ortes: Es bleibt bruchstückhaft, undurchdringlich, grenzenlos. Der Augenblick der unvermittelten Begegnung mit dem Du ist nur möglich in einem Nicht-Ort, der gleichzeitig unbeweglich und mit Tanz ausgefüllt ist. Im Moment der "Blickstille" gibt es keine Worte, allenfalls "SPRACHPuderGESTALTEN". "NICHTORT – DUORT" ist ein Zustand zwischen Menschen- und Meereswelt, wo man keine Worte, kein Schweigen antrifft, nur "RUHEDORFMENSCHEN". Die Angst und Bekümmernis des Ich wandeln sich zu einer Schwerelosigkeit, in der Sprache ohne Scheitern und Trennung möglich scheint.
"BlauWaldDorf ist ein radikaler Ableger von Luigi Nonos Tragödie des Hörens. Das Verschwinden der Texte in der Musik, in einer visionären Tonsprache als ‘sprachloser Botschaft aus dem Innern’, wie Helmut Lachenmann es formulierte, treibt Oehring auf die Spitze. Zugleich ist es eine Märchenoper, da Oehrings utopische ‘Kindersehnsucht’ darin nistet, die Fremdheit dieser getrennten Welten zu überwinden...
Inseln der Isolation, der Verlassenheit, verzweifelter Trauer, Orte verstummter Kommunikation hat Oehring mitten jede seiner vier Stationen gesetzt. Es sind Bearbeitungen von Monteverdis Trauermotiv aus dem Lamento d’Arianna. Christina Schönfeld steht in einem Lichtkegel, und ihre stöhnenden Atemgeräusche machen die gequälte Seele hörbar. Beim letzten Mal wird das Keuchen gefolgt von einer schreienden Stille, ohrenbetäubend. Hellhörig werden für das vermeintlich Stumme, das zum Schweigen gebrachte: Dieses Utopia steigt bei dieser großartig komplexen Aachener Uraufführung eindrucksvoll auf aus dem Meer der Musik." (Svenja Klaucke, Süddeutsche Zeitung, 14.05.2002)
"Helmuth Oehring ist und bleibt ein Phänomen... Und die Verknüpfung von Gesang, gesprochenem Wort und Gebärdensprache - für den Sohn taubstummer Eltern unverzichtbare Ingredienz seiner Musik, für ein hörendes Publikum jedoch leicht exotisch anmutend - gewinnt zunehmend an Klarheit und Verständlichkeit, wobei sie den Geruch des ganz Außergewöhnlichen allmählich verliert.
Polarisierte Oehring noch vor vier Jahren in Bonn in seinem Stück "Sieben" die Welten der Taubstummen und der Hörenden als unüberwindliche Gegensätze, kommt es in BlauWaldDorf zu einer Annäherung, in der die Darstellungskraft der Gebärdensprache so anschaulich und körperhaft zum Ausdruck kommt, dass sie in ihrer sinnlichen Unmittelbarkeit ähnlich faszinieren kann wie das gesprochene, gesungene oder getanzte Wort...
Diesem Zugewinn an gestischer Klarheit gesellt sich eine überschaubarere dramaturgische Anlage des Librettos. Zwar montiert Oehring auch hier Texte aus verschiedenen Quellen, doch bleibt als roter Faden das Märchen der Kleinen Seejungfrau von Hans Christian Andersen greifbar. Und die Verknüpfungen mit Textausschnitten von Schiller, Morus und Oehring steht dem Verständnis nicht im Wege. Auch nicht die Einschübe musikalisch faszinierend modulierter Teile der Monteverdi-Klage, die die Verfassung einer verlassenen, einsamen, sich selbst aufgeopferten Frau vertiefend reflektieren...
Musikalisch überrascht die ungebrochene Spielfreude der elektronisch verfeinerten Partitur, obwohl sich Oehring weitgehend der üblichen Stilmittel der letzten Jahre bedient. Aber so expressiv dicht und andererseits in Tönen von so abgehobener Verlorenheit, dass sich in diesem Stück die musiktheatralischen Talente des Musikers noch konzentrierter niederschlagen als in seinem letzten Werk Effi Briest. Was er an subtilen klanglichen Raffinessen aus den Monteverdi-Intermezzi zaubert, ist... phänomenal... (Pedro Obiera, Aachener Nachrichten, 28.04.2002)
poetisch