Bote & Bock
Widmung: für Roswitha Staege und das Kammerorchester des Saarländischen Rundfunks.
Helmut Fischer zum Gedächtnis.
Ich schrieb Fünf Haiku im Anfang dieses Jahres (1982) auf der Suche nach einer weiteren Verknappung meiner musikalischen Sprache. Die Form der klassischen japanischen Haiku-Dichtung, die schon der Filmregisseur Eisenstein in seinem genialen Aufsatz von 1929 "Hinter der Leinwand" in ihrer möglichen Bedeutung für das europäische Kunstdenken der Gegenwart erkannte, wird in folgendem Sinn übernommen:
Die 17 Silben des Haiku entsprechen 17 Großtakten eines musikalischen Satzes; jeder dieser Takte ist im Sinn von Tempo und Harmonik eine autonome musikalische Einheit, vergleichbar der "Phrase" unserer klassischen Musik (er dauert zwischen 6 und ca. 12 Sekunden).
Die Gliederung 5-7-5 des Haiku wird durch zwei lange Pausen deutlich; die Takte selber sind nicht im Sinne einer Entwicklungsform aneinandergefügt, sondern tragen ihr Zentrum in sich selbst, so dass ihre Reihung nach assoziativen Gesichtspunkten erfolgt.
Ich arbeite zum Teil logisch-konstruktiv; ebenso stark sind informelle, verwischende Elemente zu finden. Diese Arbeitsweise war für mich ein Abenteuer; ich suchte nach einer Musik, die in jedem Moment im Lot ist; das bedeutet, dass ale Kontrastelemente, wie hoch/tief, laut/leise, kurz/lang etc. in der Zelle eines Taktes zum Aufeinanderprall gebracht werden müssen: so wird die Zeit im dramatischen, vorwärtsdrängenden Sinn dauernd negiert, ja aufgehoben; es ensteht ein Schwebe-zustand um eine Art Nullpunkt herum: die Musik tritt in den Zustand des Schweigens ein, wie ein Mensch sterbend in den Zustand des "Nichts" hinübergleitet.
Haiku-Texte, welche im Anfang der Arbeit (ich schrieb ca. 30 Haiku, warf dann 25 weg) einwirkten, wurden alle eliminiert – bis auf den 3. Satz; hier liegt ein Haiku des großen Basho zugrunde, welches lautet:
Wolken gönnen dem
Mondbeschauer ab und zu
Eine kurze Rast."