Das Weib des Intaphernes
(The Wife of Intaphernes) (1932/1933, arr. 1998)1(=picc).1(=corA).1.bcl.1-1.1.1.0-timp.perc(2):susp.cym/BD/tgl/SD/cym/tamb/glsp/tam-t(sm,lg)/cast/xyl-harp-harmonium-strings(5.4.3.2.1)
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Bote & Bock
Für eine Bearbeitung dieses Schrekerschen Spätwerkes finden sich zwei Gründe: die zu Schrekers Zeit noch lebendige Tradition des Melodrams (oder der Rezitation) ist heute so gut wie ausgestorben; kaum findet eines der großen Melodrame (z. B. von Carl Maria von Weber oder von Richard Strauss) den Weg in den Konzertsaal. Um dies zu erleichtern, könnte eine praktischere Besetzung hilfreich sein, zumal das Interesse an „andren“ Präsentationsformen durch die Neue Musik im Wachsen begriffen zu sein scheint.
Der zweite Grund ist der massive Klang der großen Orchesterbesetzung, der auch besten Rezitatoren akustische Probleme bereiten könnte; da andererseits immer wieder Ergänzungsstücke z.B. zur Schrekerschen Kammersinfonie gesucht werden, bot sich eine Bearbeitung der Originalpartitur auf ungefähr diese Besetzung an. Die Reduktion erfolgte unter strengster Beobachtung der Schrekerschen Partitur, offensichtliche Versehen und Fehler wurden stillschweigend verbessert. Die Stellung der einzelnen Textteile ist im Manuskript oft unklar, allerdings in dem vorher ausgeführten Klavierauszug genau definiert, so daß dieser zu einer Klärung dieser Frage mit herangezogen werden durfte.
Die klangliche Umwandlung eines Sinfonieorchesters zu einer Kammerbesetzung mußte natürlich proportional geschehen: kammermusikalisches im Original sollte auch in einer Bearbeitung intimer wirken, als der jeweilige Normalklang, dramatische Steigerungen und Ballungen mußten auf die entsprechenden Verhältnisse transponiert werden.
Instrumentale Charakterisierungen sowie die für den späten Schreker typischen „leeren“ Klänge etc. sind selbstverständlich beibehalten, auch dort, wo man verführt schien, im Sinne des frühen Schrekers Harmonien aufzufüllen. Fehlende dynamische Zeichen und andere Akzidentien wurden diskret im Sinne der Komposition ergänzt, ebenfalls eine einzelne Textzeile, deren Ausschrift Schreker offensichtlich übersehen, für die er aber Platz gelassen hat.
Die beklemmende Atmosphäre der Stuckenschen Ballade legt eine Analogie zu den 1933 anbrechenden Ereignissen nahe und Schreker gestaltet diesen Stoff mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln. Allein diese Tatsache führt zu dem Wunsch, Das Weib des Intaphernes öfter zu hören.
© Thomas Tangler
Schreker griff bei der Vertonung dramatischer Stoffe lediglich dreimal auf fremde Texte zurück. In seiner Jugendoper Flammen, zu der die Wiener Dichterin Dora Leen den Text lieferte, beim Schmied von Gent, dessen Libretto auf der flämischen Mär des „Smetse Smee“ Charles de Costers basiert und schließlich beim Weib des Intaphemes. Schreker erklärte immer wieder, daß er Texte aus fremder Hand nicht vertonen können, zu sehr seien Wort und Ton, Musik und Szene in seiner künstlerischen Phantasie zu höherer Einheit verschmolzen. Berühmtes Beispiel für diese Befähigung zum Dichterkomponisten, die ihm zu Recht den Vergleich den Richard Wagner einbrachte, ist die Entstehungsgeschichte der Oper Die Gezeichneten. Das Libretto entstand auf Anfrage Alexander von Zemlinskys, der, begeistert von Schrekers Tanzpantomime Der Geburtstag der Infantin sich von diesem eine „Tragödie des häßlichen Mannes“ erbat. Schreker entwarf besagtes Textbuch, konnte sich von seiner Dichtung aber nicht mehr trennen, da er beim Schreiben bereits einen Großteil der Musik mitkonzipierte. Von den wenigen, nach 1900 entstandenen Liedern abgesehen komponierte Schreker seit dem Fernen Klang nur noch eigene Texte. Nur scheinbar macht der Schmied von Gent eine Ausnahme, da Schreker das Libretto immerhin selbst verfaßte, nur die Vorlage entlehnte er bei de Coster. Auch modifizierte er den Stoff nach seinen Bedürfnissen.
Insofern nimmt das Melodram Das Weib des Intaphernes einen singulären Platz im Œuvre Franz Schrekers ein – nicht nur gattunsgeschichtlich – und verdient deshalb besondere Beachtung. Gleichzeitig ist es, neben dem durch Hans Rosbaud posthum uraufgeführten Vorspiel zu einer großen Oper („Memnon“), Schrekers letztes großes Orchesterwerk. Wie in Memnon wendet sich Schreker auch hier einem orientalischen Stoff zu, wobei sich der Orientalismus in der Musik weniger niederschlägt als in der unvollendet gebliebenen monumentalen Oper.
Was Schreker an der Ballade Stuckens fasziniert haben dürfte, ist die auffallende Nähe zu eigenen Themen, die synästhetischen Qualitäten des Textes, in denen das für Schreker zur musikalischen Inspiration unabdingbare Ambiente so evoziert wird, daß nicht nur Platz für Musik bleibt, sondern Musik geradezu gefordert ist.
Das Drama verknüpft psychologisch geschickt mehrere, für Schrekers Schaffen charakteristische Motive: die Tragödie des häßlichen Mannes, die Frau als ambivalentes Wesen (hier sogar Mutter, Frau, Tochter, Schwester und begehrtes Lustobjekt in einem), Pervertierung durch Macht, Liebe und Opfer, „gezeichnete“ Menschen, Erlösung durch alles vernichtendes Feuer. Alle Opern Schrekers, von den Flammen bis hin zu Memnon klingen noch einmal an. Aber, wo in Irrelohe der Brand des Schlosses das äußere Symbol für die innere Reinigung des Protagonisten bedeutet und im Schmied von Gent die Flammen der Hölle nur über das Gewalt haben, was der Hölle ist, so ist im Melodram die Vernichtung eine absolute, Hoffnung verweigernde.
Das Weib des Intaphernes steht thematisch auch in der Tradition der Befreiungsoper, ist gleichsam ihre anti-utopische Umkehrung in einem von Diktaturen bedrohten Europa. Als Tyrannenmörderin ist das Weib auch eine Schwester der Judith (Honegger komponierte ihre Geschichte 1925). Namenlos wie die Gestalten des expressionistischen Dramas bleibt ihre Tragödie im Privaten verwurzelt, entbehrt aber nur scheinbar der politischen Dimension.
Sind die Akteure in der klassizistischen Oper Honeggers Chiffren im biblischen Spiel, sind sie bei Schreker leidende Menschen, deren Handlungen psychologisch motiviert werden. Der Tod des Holophernes erscheint als gerechte Sache, in der Figur des Darius wird Haß und seelische Perversion transparent, verständlich. Hier liegt die Modernität und Aktualität des Schrekerschen Œuvres.
Zur Handlung:
Der häßliche Darius, König der Perser, hält seinen Jugendfreund Intaphernes – auf den sich seine unerfüllten Wünsche projizieren – in einem Kerker seines Palastes gefangen und mit ihm dessen ganze Familie. Nur das Weib des Intaphernes ist dem Zugriff der Schergen Darius’ entkommen. Eines Nachts, nachdem sie wochenlang umsonst Zugang zum König erbeten hatte, schleicht sie sich in den Palast und steht Darius gegenüber. Dieser macht ihr das perverse Angebot, einen der Familie zu befreien, wenn sie sich ihm hingibt. In den Qualen der Frau, die sich vor die Wahl gestellt sieht, ihren Mann, ihr Kind, ihren Vater oder ihren Bruder zu erlösen, findet das Drama seine furchtbare psychologische Zuspitzung.
Frank Harders-Wuthenow, 1999
"Schrekers Weib des Intaphernes zieht den Zuhörer in die düstere Welt von Lebensüberdruß, Machtmißbrauch und Lüsternheit am Hof des Perserkönigs Darius... Schreker wählte für diese emotionale tour de force, die in einem Meer von Flammen endet, die Form des Melodrams. Der präzise, rhythmisch ausgefeilte Vortrag von Jörg Gudzuhn brachte die Stärken des Genres zum Leuchten: eine fast schon archaische Präsenz der Ballade und ein – von den besten Momenten der Filmmusik bekanntes – subtiles Andeuten und Nachschwingen von Spannung und musikalischen Psychogrammen. Das Werk zeigte auch in der Kammerfassung morbide Wirkung durch das vielfarbige Spiel der Kammersymphonie Berlin." (Ulrich Amling, Der Tagesspiegel, 08.06.1999)