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Publisher

Bote & Bock

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
26/09/1991
Alte Oper, Frankfurt a.M.
Thomas Zehetmair, violin / Siegfried Mauser, piano
Programme Note

Die terzgeschichtete Klangbildung des späten Yun ist erstens charakterisiert durch eine permanente Vermischung von Dur und Moll (zu Beginn der Sonate für Violine und Klavier z.B. cis-moll und E-Dur: cis-e-gis-h); sie ist zweitens durchsetzt mit dissonierenden, "störenden" Zusatztönen (Beginn der Violinsonate: d und f). Wesentlich ist ferner der am Studium der Werke von J. S. Bach geschulte Gerüstsatz. Typisch sind außerdem Modelle, die der Komposition zugrundeliegen und die bei ihrer "Wiederholung" zunächst stark variiert und schließlich auch durch anderes Material verdrängt werden.

Der Titel "Sonate für Violine und Klavier" spielt absichtsvoll auf die traditionelle Gattung an. In Yuns Œuvre vorausgegangen waren die halbstündige Sonata für Oboe (Oboe d'amore), Harfe und Viola oder Violoncello (1979) sowie Sonatina für zwei Violinen (1983). Die Bezeichnung "Sonate" meint für Yun zunächst vor allem im etymologischen Wortsinn ein "Klangstück", das Zusammenspiel einander ebenbürtiger Partner, die im "monistisch" strömenden Klang stets aufeinander reagieren. Darüber hinaus erstrebte Yun mit diesem Titel aber auch eine Rangbezeichnung; er wollte der in der Geschichte der europäischen Musik bedeutenden Gattung ein ebenbürtiges Werk an die Seite stellen.

Während Yun in seinem Streichquartett VI (1992) – wie auch im Violinkonzert I (1981) und der Symphonie I (1982/83) – gewisse Konventionen bzw. Gattungsnormen in der ihm eigenen musikalischen Sprache neu erfüllte, fand er für die Streichquartette IV (in zwei Sätzen, 1988) und V (in einem Satz, 1990) eine Dramaturgie, die auch in der Sonate für Violine und Klavier wirksam ist. Im Streichquartett IV folgt auf den raschen ersten ein langsamer zweiter Satz, der zugleich als Finalsatz fungiert. Diese Abfolge zog Yun im Streichquartett V in einen Satz zusammen; er verwandte sie erneut in seiner einsätzigen Sonate für Violine und Klavier.

In immer neuen Abstufungen zeigt deren Verlauf Entwicklungen, die Yun mit einer programmatischen Idee verknüpft, bei der Biographisches bzw. Autobiographisches hineinspielt: Die Violine, Protagonist des musikalischen Prozesses, wird gleichsam in die Strudel des Lebens hineingeworfen, erlebt Höhen und Tiefen, ringt um Freiheit und Befreiung – und findet in der Stille des um tonale Zentren kreisenden Schlusses zu innerer Harmonie oder ewiger Ruhe.

Schon der kämpferische Beginn zeigt Yuns typische – doch in einem jeden seiner Werke modifizierte – nahtlos vor- und aufwärts führende Klanggestik: In entwickelnder Variation weitet er das motivische Gerüst des ersten Taktes (von cis1 nach gis1) bis hin zur großen Aufwärtsgeste (von f 1 nach gis2 / h2). Die Violine kann diese Höhe ohne die Unterstützung des Klaviers, das an "starren" Akkorden kaum verändert festhält, nicht halten. Der Tonhöhenverlauf fällt in die Tiefe wie ein Mensch, der vom Dach eines Hauses herabstürzt. (Derartige Abstürze und die immer neuen Anfänge charakterisieren den gesamten "ersten Satz".) Das Klavier greift nun die Violingestik flexibel auf und leitet die variierte "Wiederholung" dieses exponierenden Prozesses ein. In einer zweiten Phase erreicht die Violine h2; in einer dritten, als Steigerung angelegten Phase gelangt sie darüber hinaus bis zu dem Doppelgriff fis2-gis3.

Als wäre es von der Violine herausgefordert (und als wäre hier der lyrische Seitensatz der traditionellen Sonatenform), antwortet das Klavier sehr zart: mit Trillerfeldern umschmeichelt es in einem solistischen Zwischenspiel den höchsten Ton der Violine. Der werbende Gestus des Klaviers bleibt nicht ohne Folgen; die Violine findet zu weicheren Vokabeln, zum Beispiel vogelstimmenartige Trillerglissandi auf kleinem Raum.

In einem weiteren Formabschnitt exponiert Yun in langsamerem Tempo eine verwandelte Klanggestik, die von kleineren Intervallzellen ihren Ausgang nimmt (Takt 50: gis-h): Wenn der bisherige Verlauf als Darstellung einer jugendlichen Sturm- und Drangzeit interpretiert werden kann, so schlägt die Musik nun einen "reiferen", ernsteren Ton an. Auch hier leitet das Klavier eine seitensatzartige espressivo-Partie ein, die lyrische Klangketten der Violine (bis zu a3 und b3) auslöst.

Sodann überwölbt und resumiert Yun das Vorausgegangene im mittleren Tempo und von einer bogenförmigen, den Himmel symbolisierenden Klanggeste aus, die beide Entwicklungen – weite und enge Intervalle – zusammenfasst und in sich umgreift. Als diastematischen Höhepunkt artikuliert die Violine in entschiedenen Aufwärtsgesten h3, c4 und cis4 (T. 88).

Reprisenartig kehrt nun der Beginn in der höheren Oktav – eine höhere Stufe symbolisierend – wieder; die Akkorde des Klaviers sind hierbei durch figurative Gesten ersetzt. Zugleich setzt eine Reduktion der Klanggesten ein; zielbewusst umkreist die Violine a2. Gegenläufig zum Absenken der Tonhöhe der Violine wird der Klavierpart in die Höhe geführt. Accelerando nimmt die Violine in virtuoser Doppelgriffvehemenz Anlauf, um wiederum die viergestrichene Lage zu erreichen.

In äußerstem Kontrast geschieht der Umschlag zu Stille und Stillstand, dem Beginn des ausgedehnten, in sich dreiteiligen Schluss-Satzes. Immer einfacher wird das Material; abermals formuliert Yun einen großen formalen Bogen, in dessen Mitte die Violine erneut die himmlisch hohen Lagen erreicht.

Die 17(!)-minütige Sonate für Violine und Klavier entstand 1991 als "Auftragskomposition der Frankfurt Feste 1991 mit großzügiger Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Alten Oper" (Vorbemerkung der gedruckten Partitur). Das Autograph wurde am 5. April l991 in Berlin-Kladow abgeschlossen.
Walter-Wolfgang Sparrer (2000)

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