Symphony No.2: The Age of Anxiety
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Abbreviations (PDF)
Boosey & Hawkes, Sole Agent
Mit "The Age of Anxiety" ("Das Zeitalter der Angst") spürte Bernstein dem Lebensgefühl einer Generation nach: der Orientierungslosigkeit nach dem 2. Weltkrieg und der Überdeckung der sozialen Vereinzelung mit einem betäubenden Rausch.
Formal wie inhaltlich geht Bernstein dabei neue Wege: "The Age of Anxiety" ist als Sinfonie ausgewiesen, könnte aber mit seinem anspruchsvollen Klaviersolopart auch als Klavierkonzert durchgehen. Die traditionelle Viersätzigkeit gibt Bernstein auf zugunsten einer Zweiteilung, wobei jeder Teil wiederum in verschiedene Abschnitte unterteilt ist. Titel und programmatische Idee gehen zurück auf das gleichnamige Erzählgedicht von W.H. Auden. Der britische Lyriker war 1939 in die USA gegangen. In "The Age of Anxiety", 1948 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, traf Auden den Nerv der jungen Nachkriegsgeneration. Das Gedicht erzählt von vier jungen Leuten – drei Männern und einer Frau –, die ihre Ängste und Einsamkeitsgefühle in einer New Yorker Bar mit reichlich Alkohol herunterspülen, wechselnde sexuelle Bindungen eingehen, dem Verlust einer Vaterfigur hinterhertrauern und verzweifelt Halt und Glauben in einer fremd gewordenen Welt suchen.
Der 29-jährige Bernstein hatte Audens Gedicht im Sommer 1947 gelesen, war begeistert und dachte spontan an ein Ballett. Doch ein Freund überzeugte ihn schließlich, die Lektüreeindrücke zunächst in einem Konzertwerk zu verarbeiten. Erst nach der Uraufführung der Sinfonie kreierte der Choreograf Jerome Robbins ein Ballett dazu.
Bernsteins Inspiration durch Audens Gedicht brach sich in einem fieberhaften Schaffensprozess Bahn: Während er als Dirigent bereits rund um die Welt jettete, ließ ihn der Plan zu "The Age of Anxiety" für zwei Jahre nicht los: "ich arbeitete daran in Taos, in Philadelphia, in Richmond, Massachusetts, in Tel Aviv, in Flugzeugen, in Hotellobbies…".
Serge Koussevitzky gab den Kompositionsauftrag für sein Boston Symphony Orchestra. Im April 1949 dirigierte Koussevitzky die Uraufführung, Bernstein selbst spielte den Klavierpart. 1965 überarbeitete er das Werk noch einmal und gab ihm seine endgültige Form.
Die außergewöhnliche Struktur von Bernsteins Sinfonie spiegelt den Grobaufbau von Audens ausgedehntem Gedicht wieder. Bernsteins 1. Teil ist in zwei Abschnitte gegliedert: "The Seven Ages" (Variation I-VII) und "The Seven Stages" (Variation VIII-XIV). Audens "Seven Ages" reflektieren die individuellen Erfahrungen der Jugendlichen, "The Seven Stages" dagegen ihre Träume. Der 2. Teil stellt drei Abschnitte vor: "The Dirge", "The Masque" und "Epilogue".
Mit einem sanften Duett der Klarinetten führt der Prolog in die nächtliche Szenerie ein, wo die vier jungen Leute wie in einem Bild von Edward Hopper verloren an der Bar-Theke sitzen und im Radio die Nachrichten aus den letzten Kriegstagen hören. Eine absteigende Bewegung führt auf den Grund ihres Unterbewusstseins. Der Einsatz des Klaviers markiert den Beginn von "The Seven Ages" und damit den gedanklichen Austausch der Jugendlichen. Dessen sieben Variationen sind nicht auf einem gemeinsamen Thema aufgebaut, sondern jede Variation greift motivisches Material des vorangegangenen Abschnitts auf und reicht es in einem ununterbrochenen Ideenfluss weiter. Auch dem Soloklavier ist mit Variation 6 ein eigener Gedankenraum gegeben.
Den 2. Abschnitt "The Seven Stages" hat Bernstein selbst als kollektive, rauschhafte "Traum-Odyssee" bezeichnet. In wechselnden Paarkonstellationen treibt die Figuren von Audens Gedicht die Suche nach Menschlichkeit und Lebenssinn umher. Das Tempo beschleunigt sich stetig und mündet in einem "hektischen und doch unentschlossenen Ende", so Bernstein.
Der 2. Teil beginnt mit einem Klagegesang ("The Dirge"), aufgebaut auf einer 12-Ton-Reihe. In Audens Gedicht sitzen die vier jungen Leute in einem Taxi und betrauern den Verlust einer Orientierung gebenden Vaterfigur – es ist eine "seltsam aufgeblasene Klage", sagt Bernstein. Bald zieht sie ein überhitztes Bedürfnis nach Amüsement und Verdrängung aus dem Sumpf der Kriegstraumata. Audens narzisstische Party setzt Bernstein in jazzigem Speed mit fetzigen, synkopierten Dialogen zwischen Klavier und einer als "Rhythm section" eingesetzten Gruppe aus Schlagwerk, Harfe, Celesta und Kontrabass um. Doch plötzlich zieht sich das Klavier zurück, als würde es sich vor der überdrehten Partylaune ekeln. "Was bleibt nach dieser Leere zurück?" fragt Audens Gedicht. Ein langsames Thema aus vier Noten ertönt in der Trompete und setzt zu einem radikalen Ausdruckswechsel der Musik an. Leise, klar und konzentriert mischt sich das Klavier wieder ein und führt das Orchester in eine strahlende Schlussapotheose. Bernstein, der Sohn ukrainisch-jüdischer Einwanderer, war eben nicht nur swingender Jazz-Virtuose, sondern auch hymnensingender Gottsucher. Wenigstens einer der Figuren Audens empfängt zum Schluss den "Ruf des Glaubens", so Bernstein: "wonach ich auch suche – ich schätze, in jedem Werk, das ich schreibe."
Kerstin Schüssler-Bach
Jean-Yves Thibaudet/Baltimore Symphony Orchestra/Marin Alsop
Naxos 8.559790