Bote & Bock
Die Vision einer Einheit von Kunst und Natur sowie Klangvorstellungen, die auf Sensibilisierung unserer Wahrnehmung zielen, leiteten Yun bei In Balance, das er im Frühjahr 1987 für Ursula Holliger komponierte. Der zarte Klang erinnert an den der chinesischen Griffbrettzither ch’in, legendenumwobenes Instrument wie Symbol hoher kultureller Entwicklung.
In einem chinesischen Traktat des frühen 16. Jahrhunderts gelten die »klaren« Flageolett-Töne als »Töne des Himmels« und die »verschwommenen« Töne der leeren Saiten als »Töne der Erde«. Als »klar und verschwommen«, nämlich als »Töne des Menschen«, erscheinen hingegen die Klänge der abgegriffenen Saiten. Und über einen als kurzen Vorschlag auszuführende Tonwiederholung heißt es (in der Übersetzung von Manfred Dahmer): »Verlassen die Schlucht, einsam und still, / Ein kühler Quell fließt von oben hinein, / Es gurgelt und sprudelt über die Felsen, / Und tiefer und tiefer, es singen die Perlen.«
Musik, die – so Yun – nach Balance, nach Harmonie und Ausgleich sucht: In »endloser Bewegung«, einem Mobile vergleichbar, pendelt sie von der Tiefe zur Höhe (und zurück), findet Halt auf kleinen Plateaus – in dauernder Instabilität, um Stabilität zu erreichen, vorübergehend stabil, um wieder instabil zu werden.
Walter-Wolfgang Sparrer
Ursula Holliger, harp
Camerata CMCD-50029