fl(=afl).cl(=bcl)-perc-pft-vln.vla.vlc.db
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Bote & Bock
Der Titel Pièce concertante – "konzertantes Stück" – spielt an auf Gestaltungsprinzipien aus den Anfängen des Konzerts: auf die Konfrontation von Instrumentalchören mit Soloinstrumenten, aus der sich im 17. Jahrhundert die Konzertform herauszubilden begann.
– Drei prinzipiell gleichberechtigte Klangschichten bestimmen die Komposition: Als grundierende Schicht fungieren die Streicher, denen die – überwiegend parallel geführten – Holzbläser (Flöte und Klarinette) gegenübergestellt werden. Klavier und Schlagzeug bilden eine dritte, vermittelnde Klangschicht. Diese drei Klanggruppen erklingen sowohl sukzessive als auch simultan, wobei jeder der Spieler auch solistische Aufgaben erfüllt.
– Den Grundsatz des Konzertierens entfaltet Yun in "rivalisierenden" (wetteifernden) Klangprozessen: Das solistische Heraustreten einzelner Instrumente und der ökonomische Einsatz des reich besetzten Schlagwerks ermöglichen jeweils neue Klangfarben und Instrumentalkombinationen.
– Der Gestus des Konzertierenden wird überwölbt durch ein zweites, dramaturgisches Prinzip: Es zielt auf die klangliche Annäherung und (partielle) Verschmelzung gegensätzlichen Materials. Die Dramaturgie drängt über mehrere, jeweils verschiedene Entwicklungsstufen zur Verdichtung und Integration, zur Steigerung, zum Ausgleich und zur Einheit der Gegensätze.
Zu Beginn des äußerlich einsätzigen, in sich vierteilig angelegten Werks von rund 15 Minuten Spieldauer stellt Yun die drei Klangschichten – Streicher, Klavier (mit Schlagzeug) und Holzbläser – nacheinander in einer jeweils eigenen (und somit gegensätzlichen) Idiomatik vor: Auf Glissando-Gesten und lang ausgehaltene Töne der (vom Klavier unterstützten) Streicher folgt die fließende Bewegung einer durchs Klavier (mit Schlagzeug) formulierten "Klangbrücke" (koreanisch: yonum). Als eine dritte Klangschicht erscheint dann das Holzbläserduo mit signalartig rufenden Gesten. Am Ende dieses ersten Formabschnitts erklingen alle drei Klanggruppen für nur wenige Sekunden gleichzeitig: Sie begegnen sich, bleiben aber in ihren jeweils unterschiedlichen Idiomen befangen.
Der zweite Abschnitt dieses ersten Teils wird durch ein Solo der Violine eingeleitet und kulminiert in eine erste Annäherung der Klanggruppen: Von den Klängen antiker Zimbeln unterstützt vereinigen sich die Gesten der Holzbläser und des Klaviers (klanglich und rhythmisch) in einer Fortissimo-Steigerung, während die Streicher zwar gleichzeitig, aber unabhängig von dieser "Vereinigung" ihr eigenes Material (vibrierende Glissando-Gesten) intonieren.
Eine zunächst relativ ruhige und leise Klangfläche der Streicher grundiert den dritten Abschnitt des ersten Teils. Über dem Streicherklang alternieren (in lang ausgehaltenen Tönen) appellativ aufwärts geführte Oktaven der Holzbläser einerseits mit Melismen von Klavier und Vibraphon andererseits. Flankiert durch Tempelblocks, Gongs und das Klavier entwickeln die Streicher sodann Gegenkräfte, indem sie "in der Tiefe Halt suchen" (Yun). In dieser Phase vereint Yun die Klanggesten der Streichergruppe mit den Gesten der aus Klavier und Schlagzeug formierten Klanggruppe.
Die Suche nach Einheit artikuliert Yun im langsamen Mittelteil, indem er auf die zuvor konstituierten Klangflächen zugunsten von instrumentalen Soli verzichtet: Auf ein Flötensolo folgen ein ausgedehntes Klarinettensolo sowie ein Epilog aus lichten Trillerketten des Klaviers und Vibraphons, bei dem der Kontrabass und das Violoncello solistisch hervortreten.
Der bewegte dritte Teil setzt ein mit einem Glissandomotiv in der Flöte, einer Reminiszenz an die dominierende Klangfigur der Streicher. Duettierend vereinen sich die Stimmen der Klarinette und der Flöte. Kurze Glissandomotive der Streicher treten kommentierend hinzu. Impulse der kleinen Trommel leiten sodann die Vereinigung der Streicher- und Bläsergruppe in einer kraftintensiven Steigerung ein, bei der auch Klavier und Vibraphon beteiligt sind. Die Einheit ist gleichwohl nur eine vorübergehende: Nach dem Erreichen dieser Kulmination treten die Klanggruppen wieder auseinander und fallen in divergierende Idiome zurück. Einem irrwitzigen, vom Schlagzeug begleiteten Violinsolo antworten Trillerfelder der Holzbläser. Heftige Doppelgriffe aller Streicher stehen weit gespannten Aufwärtsgesten der Holzbläser konstrastierend gegenüber.
Als Überleitung zum Schlussteil fungiert eine ruhige "Klanginsel": Über einer statischen Streicherfläche erklingt ein Klaviersolo mit leisen Schlagzeugklängen (Zimbeln, Gong, Tempelblock und Vibraphon). Zur weiteren Homogenisierung des Klangs wechseln die Bläser nunmehr zu Altflöte und Bassklarinette. Ihrem zarten Duo in tiefer Lage folgt das Klavier ebenfalls zweistimmig und mit schlichten Haltetönen. Die Streicher schließen mit einem imitatorischen Gewebe von nahezu orchestraler Dichte auf; ein gemeinsamer Wachstumsprozess setzt ein. "Der Streicherklang soll fast 'elegisch' sein", heißt es in der Partitur – so als sei die nunmehr erreichte Verschmelzung zur kollektiven Klangbildung aller Gruppen durch die Preisgabe individueller Freiheit erkauft. Dass auch die hier erreichte Einheit nur Schein ist, deutet die kurze Schlussstretta an, in der die Gruppen wieder auseinandertreten.
Walter-Wolfgang Sparrer (1999)
Gruppe Neue Musik „Hanns Eisler“ / Christian Münch
(Deutscher Musikrat – Musik in Deutschland 1950–2000; Instrumentale Kammermusik: Gruppe Neue Musik „Hanns Eisler“)
RCA Red Seal 74321 73626 2