Boosey & Hawkes
I Mäßig bewegt, etwas verhalten im Ausdruck
II Lebhaft und durchaus schroff
III Sehr ruhig, ein wenig träumerisch
IV Sehr lebhaft und wild
V Nicht zu ruhig, zart im Ausdruck
VI Sehr beweglich im Tempo und Ausdruck
VII Etwas langsam. Im Tempo von "Der Leiermann" von Franz Schubert
Die Komposition von Tagträume wurde angeregt und begleitet – nicht jedoch programmatisch gelenkt – durch die Lektüre des aus sieben Gedichten bestehenden Zyklus "Anwesend, Abwesend" des holländischen Lyrikers und Schriftstellers Cees Nooteboom. Im Nachwort zur Buchausgabe, die diesen Gedichtzyklus enthält, heißt es: "Nicht länger lassen sich die Gedichte auf ein Scheingefecht mit dem Tod ein, sondern sie blicken einem noch mächtigeren Feind ins Gesicht, dem der Tod nur ein Helfer ist: dem Phänomen der Zeit. Die Zeit ist das schwarze Loch, das alles Existierende verschlingt und für immer verschwinden lässt."
Die sieben kurzen "Klanggedichte" meiner Tagträume können als "verdichtete" Gegenstücke zu den überwiegend weiträumigen episch/dramatischen Formen meiner bisherigen Werke betrachtet werden. Auch geht es hier – im Unterschied zu meinen zahlreichen elektronischen Arbeiten – weniger um verschiedene Manifestationen des Klanges als vielmehr um solche der Zeit, genauer gesagt von Gegenwart. Jedes Stück hat seine eigene Zeitgestalt, die bewirkt, dass die musikalische Gegenwart fließend, gedrängt, gedehnt, zerrissen erscheint oder – wie im letzten Stück – zum Stillstand tendiert. Im 3. und 5. Stück werden – eine Folge meiner Erfahrungen mit elektronischer Musik – mehrere Gegenwartsgeschichten übereinander gelagert. Werden diese Prozesse, wie gesagt, durch eine "Zeitgestalt" gesteuert, so beruhen Melodik und Harmonik auf einer "offenen Klanggestalt" aus 24 Tönen.
Eine Gestalt ist bekanntlich mehr als die Summe ihrer Teile. Ihr Kennzeichen ist Plastizität, Prägnanz, in ihrer höchsten Ausformung Unverwechselbarkeit. Dadurch, dass ihre Komponenten sich nicht einfach addieren, sondern gegenseitig bedingen, sei es anziehend oder abstoßend, entstehen Innenspannungen, Energiefelder, oder, um einen Terminus des englischen Biophysikers Rupert Sheldrake zu verwenden: morphogenetische Felder ("Das Gedächtnis der Natur").
Ich bin davon überzeugt, dass Kunstwerke allein kraft der in ihnen akkumulierten geistig-seelischen Energie die Chance haben, dem Verschlungenwerden durch das schwarze Loch der Zeit wenigstens für eine Weile zu widerstehen. Dazu müssen die aus verschiedenen Bewusstseinsschichten und Zeiträumen ständig aufsteigenden Träume, Bilder, Gefühle und Gedanken im klaren Licht des Heute materialisiert und gebündelt werden.
Dazu fühlt sich der Tagträumer berufen.
Das Werk ist dem Ravinia Trio gewidmet.
Ravinia Trio
Largo 5140