Study for strings
(Studie für Streichorchester / Studie pro smyccovy orchestr) (1943)Bote & Bock
Haas’ Studie für Streichorchester entstand in Theresienstadt im Jahr 1943. Die Partitur blieb nicht erhalten, doch entdeckte Karel Ancerl, der die Komposition im Lager mehrfach dirigiert hatte, nach dem Krieg im Lager die Orchesterstimmen außer der für den Kontrabass. Diese ergänzte Haas’ Schüler und Biograph Dr. Lubomir Peduzzi für die Veröffentlichung der Partitur in den Verlagen Tempo Praha und Bote & Bock Berlin im Herbst 1991.
Hauptthema der Studie ist eine Reminiszenz an die Oper Scharlatan (aus dem Zwischenspiel zum 2. Bild). Typisch für den Komponisten Haas ist die parallele Bewegung zweier Metren (6/8 und 3/4) zu Beginn und das in der mährischen Volksmelodik beheimatete schwermütige Thema des Adagio-Abschnitts. Schließlich webt Haas im weiteren Verlauf ein aus einer Synagogenweise gewonnes Motiv in die Partitur ein. Damit vereinigt die Studie nahezu alle für die Musiksprache von Pavel Haas typischen Elemente, die seinen Stil im Kreis der tschechischen Komponistengeneration der Zwischenkriegszeit unverwechselbar machen. Die Studie ist heute das meistgespielte Werk von Haas.
_© Blanka Cervinková
_Die Studie für Streichorchester von Pavel Haas (1899–1944) ist eines der letzten Werke dieses tschechischen Komponisten und bedeutenden Schülers von Leoš Janácek. Der Autor komponierte sie im Sommer 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt, wo er vom Dezember 1941 bis Oktober 1944 in Haft war. Den Anstoß für das Entstehen der Studie gab die Bildung eines Streichorchesters mit Musikern, ebenfalls Häftlinge, unter der Leitung Karel Ancerl, des späteren Chefdirigenten der Tschechischen Philharmonie. Ihm ist die Studie auch gewidmet. Ancerls Orchester zählte 19 Mitglieder, aber bei der Aufführung seines zweiten Programms waren es bereits ca. 30 Spieler. Damals spielte man außer Haas auch Dvorák und Suk. Die Studie von Haas hatte in Theresienstadt zwei Premieren: am 1. September 1944 bei den Dreharbeiten zu dem Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", und die eigentliche, öffentliche, am 13. September 1944. Einen Monat später wurden fast alle Theresienstädter Künstler nach Auschwitz gebracht, wo Haas in der Gaskammer umkam. Ancerl verlor dort seine ganze Familie, aber er selbst überlebte. Nach dem Krieg fand er in Theresienstadt die Stimmen der Studie von Haas und konnte so diese Komposition retten.
Die Studie besteht aus einem Satz, und ihre drei Themen lassen sich im wesentlichen vom Hauptgedanken ableiten, der eine Reminiszenz an das Thema des szenischen Zwischenspiels (2. Bild) aus der Oper „Scharlatan" von Haas ist. Eine wichtige Rolle in der Komposition spielt auch die motorische Einleitung, in deren aggressiv klingende Achtelnoten im 6/8 Takt das Hauptthema im 3/4 Takt einfällt. Für Haas ist nicht nur diese Parallele von zwei unterschiedlichen Metren (drei Zeitwerte gegen zwei) typisch, sondern auch die erste Einführung des Gedankens, der seiner metrischen Gliederung eigentlich nicht entspricht. Erst im weiteren Verlauf vereinigen sich die Begleitung und das Thema im Alla-breve-Takt. Im gleichen Takt kommt es dann auch zur Transformation des Hauptthemas in das Thema der Fuge. Die Exposition der Fuge ist vierstimmig, denn dem Kontrabass, den es nur einmal in Ancerls Orchester gab, konnte der Komponist keine reale Selbständigkeit zuerkennen. Das kunstvolle Gewebe der Kontrapunktstimmen, häufig kunstvolle Imitationen benutzend, geht inmitten des Verlaufs der Komposition in ein neues, homophones Thema mährisch-volkstümlicher Melodien mit der typischen lydischen Quarte über. Dieser Gedanke, obwohl er sich im Ausdruck von ihm unterscheidet, ist motivisch vom Hauptthema abgeleitet. Den Mittelpunkt der Komposition bildet das in Stimmung und Bewegung kontrastreiche Adagio. Es ist ein kurzes Intermezzo, das wieder in die Fuge übergeht. Diese mündet schließlich in die Wiederholung des zweiten, mährischen Themas und endet mit einer kurzen, motorisch gesteigerten Coda mit der Andeutung der Einleitung.
© Lubomír Peduzzi
Westfälische Kammerphilharmonie / Frieder Obstfeld
eda 009