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Scoring

2.2.2.2.dbn-4.2.3.0-timp-strings(12.10.8.6.4)

Abbreviations (PDF)

Publisher

Bote & Bock

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
22/03/2012
City Halls, Glasgow
BBC Scottish Symphony Orchestra / Donald Runnicles
Programme Note

Jede alte und neue Musik hat sich immer mit dem Gleichgewicht zwischen Unterhalten wollen und intellektueller Reflexion auseinandergesetzt, und in Gestalt und Werk von Johannes Brahms zeigt sich eine ganz eigene und faszinierende Lösung: Es scheint keinen Komponisten seiner Generation und seines Formats zu geben, der in der Musik so sehr die Balance hält zwischen einem höchsten geistigen Anspruch und einer im besten Sinne volkstümlichen Ausdrucksform – „volkstümlich“ nicht als Anbiederung an eine vermeintliche Gemeinschaft, sondern als innigster Ausdruck eines zarten oder kräftigen, wohl auch norddeutschen Lebensgefühls.

Noch in seinen derbsten Ländlern und Walzern findet sich ein zart austariertes Gedankengeflecht, noch in der komplexesten Mehrstimmigkeit – zum Beispiel einer Chaconne – herrscht als Basis eine Liedstruktur; welche seiner Partituren man auch nimmt, geistiger Anspruch und das Anerbieten einer Dechiffrierbarkeit seiner Sprache vereinen sich hier. Es gehört zu den Überraschungen der Musikgeschichte, daß erst ein Analytiker wie Arnold Schönberg auf die komplexen Konstruktionen seiner Werke und seine Bedeutung für die neue Musik umfassend hinwies; eine Komplexität, die allerdings niemals Selbstzweck einer Partitur von Brahms geworden ist.

Es hat Detlev Glanert als einem in Hamburg geborenen Komponisten offenkundig besonderes Vergnügen bereitet, mit dem „Brahms’schen Material“ zu komponieren – dasselbe intellektuelle und ästhetische Experiment, das sich Prokofjew mit Haydn in seiner ersten Sinfonie erlaubte. Dieses Vergnügen hatte einen Vorläufer in dem Werk „Vier Präludien und Ernste Gesänge“, in dem Glanert den unangetastet gelassenen, aber instrumentierten Brahmsliedern Präludien voranstellte, die aus dem Material der Lieder entwickelt waren.

Die Anfangstakte von Brahms’ 1. Sinfonie bieten einem Komponisten von heute ein besonders faszinierendes Material, weil sie zu einem Topos der Musikgeschichte geworden sind. Immer wieder wurden Musiker zu einer wie auch immer gearteten Reaktion veranlaßt, so zum Beispiel Clara Schumann mit purem Erschrecken, so zum Beispiel Hans Werner Henze in seinem 3. Klavierkonzert „Tristan“, in dem diese Takte als Gegenpol zu einer Henze-Wagner-Welt zitiert werden.

Aus diesen Anfangstakten heraus hat Detlev Glanert sein Stück geformt, indem er das Material, aber auch den musikalischen Grundgestus paraphrasiert hat; wie auch Brahms selbst hat er die Chromatik des Anfangs als Tonreihe behandelt, aus der allerdings durch immer andere Veränderungen, Versetzungen, Umstellungen eine neue Musik entsteht; diese berührt, was in seiner Musik so eminent wichtig für Brahms war: die zarte Trauer, Misanthropie, Melodie, Tanz, Kontrapunkt, Böhmen und Ungarn, Unabhängigkeit: eine ganze Welt aus einem Kern – Glanerts Stück erhielt seinen Titel „Brahms-Fantasie“ auch als Anspielung auf die gleichnamigen Radierungen von Klinger, die dem alten Brahms so sehr gefielen und die genau diese reiche innere Welt des Komponisten thematisieren.

Die „Heliogravure“ ist eine heute unüblich gewordene, interessante Technik des 19. Jahrhunderts, bei der Fotografien mittels eines chemischen Verfahrens übermalt wurden – ein originales Material erscheint also als etwas Umgestaltetes und „Umgeknetetes“, bleibt in seiner Urform vorhanden und ist dennoch durch den Eingriff eines Künstlers etwas Neues; deshalb erschien Detlev Glanert dieser Untertitel für dieses – in seinem Gesamtkatalog ungewöhnliche – Stück ideal: Man hört Brahms und hört ihn doch nicht, hört Glanerts Musik und dennoch ist es nicht ganz die seine. Ein Vexierbild, eine Musik über Musik, ein Gedankenspiel und eine Fantasie in fremden, aber dennoch vertrauten Fahrspuren.
Thomas Tangler

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