Eurydike (2. Streichquartett)
(1988/89, rev.1997)Anton J. Benjamin / Simrock
Das Streichquartett "Eurydike" erzählt die Geschichte von Orpheus und Eurydike aus der Sicht der Eurydike.
Der erste Satz "Arkadien oder das Fest der Liebenden" schildert die arkadische Landschaft und das Fest der Hirten. Dies helle Landschaftsbild hat allerdings einen dunklen Schatten: ein Thema in der tiefen Bratsche, das zu Beginn schon anklingt und jeweils in den Wiederholungsteilen der drei Tänze auftritt. Nach den Tänzen kommt es zu einer Liebesszene, denn natürlich nehmen Orpheus und Eurydike am Fest teil: ein Kanon der beiden Geigen, zu dem aber drohende Figuren im Cello und auch das dunkle Thema der Bratsche hinzutreten. Nach einer Steigerung wird der Höhepunkt erreicht: ein Aufschrei, der wie ein Riss durch das Landschaftsbild hindurchgeht – Eurydike ist von der Schlange tödlich gebissen.
Der zweite Satz "Hades" versetzt uns in eine Welt voll Trauer, Müdigkeit, voll vergeblichem Sich-Aufbäumen und voll Schmerzen. Nach Schilderung dieser Landschaft folgt ein schmerzlich-expressives Thema der Bratsche, das Material für eine Reihe von Variationen ist, die schließlich in eine freie, immer bewegtere Durchführung übergehen, bis es plötzlich hell wird und die Musik sich beruhigt: Orpheus tritt in die Unterwelt. Erinnerungen an die Liebesszene und die Tänze des ersten Satzes – aber er schaut sie nicht an! Es folgt eine dramatische Szene: Eurydike wird hin- und hergerissen zwischen Liebe, Sehnsucht, Angst und wachsender Verzweiflung, sie fragt, bittet und fleht ... bis Orpheus sich schließlich umschaut. Doch diese strahlende Reminiszenz an die Liebesszene zerfällt – Orpheus entschwindet und Eurydike kehrt in die Unterwelt zurück. Die Landschaft ist so trostlos wie zu Beginn des Satzes.
"Schultz hätte kaum bessere und engagiertere Interpreten finden können. Die Uraufführung wurde zum großen Erfolg... Der erste Satz führt uns in eine ‘arkadische Landschaft’. Man hört vogelrufe (?), Hirtentänze in unregelmäßigen Rhythmen, dissonant gestörte Harmonien, eine Liebesszene, die an Richard Strauss errinnert – bis Euydike von der Schlange tödlich gebissen wird. Der zweite Satz schildert, wie Orpheus im hades vergeblich versucht, Eurydike wiederzugewinnen. Hier malt Schultz die Szenen noch breiter aus, färbt seine Tonsprache atonaler. Alles entwickelt sich schlingpflanzenhaft wuchernd. Aber stets beweist Schultz, daß er sein Handwerk beherrscht." (zr, Hamburger Abendblatt, 06.11.1995)