Bote & Bock
Wenn auch bis heute die Oper im Mittelpunkt von Detlev Glanerts Schaffen steht, so hatte die Kammermusik für ihn ebenfalls seit jeher einen zentralen Stellenwert. Dies ergab sich schon allein durch seine Instrumentalerfahrung als Kontrabassist in Orchestern und kleineren Ensembles, die auch den Boden für seine kompositorische Arbeit bereitete.
Das Streichquartett „Pas de Quatre“, das Glanert seinem ehemaligen Lehrer Hans Werner Henze zu dessen 80. Geburtstag im Jahr 2006 widmete, entstand etwa zwanzig Jahre nach seiner ersten Auseinandersetzung mit dieser Gattung. Glanert sieht im Streichquartett „die intimste und zugleich anspruchsvollste musikalische Disziplin überhaupt“, die – erst recht seit Beethoven – immer auch eine Selbstbefragung und Selbstprüfung für den Komponisten bedeute.
„Pas de quatre“ ist ein einsätziges Werk, dessen Teile in einem nicht abreißenden Spannungsbogen ineinander übergehen. In dem Quartett verbergen sich vier thematische Elemente, vier Grundcharakteristiken, die Glanert mit dem Leben Hans Werner Henzes verknüpft: Gesang, Schrei, Tanz und Flucht. Daraus ergeben sich zwei Gegensatzpaare – mit Gesang und Schrei zwei Äußerungsformen, mit Tanz und Flucht zwei Bewegungsformen –, die im Laufe des Stückes gegeneinander ausgetauscht und miteinander konfrontiert werden.
Die vier Elemente entwickelt Glanert zu Beginn des Werkes aus einer einzigen Keimzelle, und ihre unterschiedlichen Charaktere kommen in der Musik deutlich zum Ausdruck. Den kantablen, melodischen Passagen, die den Gesang symbolisieren, stehen harte, brutale Cluster und Klangballungen gegenüber, mit denen der Schrei hörbar gemacht wird.
Für den Tanz steht ein am Bolero orientierter Triolenrhythmus. Hier erweist Glanert dem „Tänzer“ Henze seine Reverenz, dessen kompositorische und dirigentische Karriere ihren Ursprung im Ballett hatte. Die Flucht findet ihre musikalische Form in einem heftigen, rasanten Fugato.
Neben der Intention des „biographischen Quartetts“ sah Glanert sein Streichquartett auch als persönliche Botschaft an Hans Werner Henze. Das Werk entstand in einer sehr ernsten Krankheitsphase Henzes und spiegelt damit auch Glanerts Sorge um den Lehrer und Freund wider. Dies ist vor allem am Schluss des Stückes eindrucksvoll zu spüren, bei dem die Musik, von zahlreichen Generalpausen zerrissen, mehr und mehr ins Stocken gerät und schließlich ganz verlischt. Der Schluss symbolisiert laut Glanert zugleich die Amalgamierung der vier Zustände, die nach ihrer Entwicklung und Verarbeitung innerhalb des Quartetts schließlich zu einem einzigen Element verschmelzen.
© Verena Scharstein, 2008
"Ein überraschend frisches und konzentriertes Stück. Es war Musik, die in aller Klarheit, Übersichtlichkeit, man möchte fast sagen Handlichkeit, Momente der Begriffe Schrei, Lied, Tanz und Flucht streift und dabei voller listiger und präziser Ideen steckt. Gestisches wurde kontrapunktisch überhöht, ein Fugato hastete über die Szene, schroffe rhythmische Kanten stellten Hindernisse auf. Im Ineinanderschneiden solcher Momente wuchs eine Art Traumlandschaft heran." (Reinhard Schulz, Süddeutsche Zeitung, 11.04.2006)
Liviu Neagu-Gruber / Axel Heß / Jens Brockmann / Michael Hablitzel
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