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Bote & Bock
Katafalk ist die ernste Seite des Januskopfs unter Glanerts Orchesterwerken: als heiteres Gegenstück folgte Burleske (2000), der spielerische „Kontertanz für großes Orchester“. Schon der Titel des knapp 20-minütigen Werks verweist auf Trauer: Auf dem Katafalk, einem schwarz verhängten Gestell, wird während einer Trauerfeier der Sarg aufgebahrt. Der Untertitel korrespondiert mit dem Werk, das der alte Richard Strauss 1945 angesichts des zerstörten München schrieb: Metamorphosen für 23 Solostreicher. Wie Richard Strauss den Trauermarsch aus Beethovens Eroica verarbeitet, so ist es auch bei Glanert ein Zitat, das Verwandlungen durchläuft. Doch war Strauss’ Rückblick sentimental eingefärbt, ein Abgesang auf das untergegangene deutsche Musikleben, evoziert Glanert am Ende des 20. Jahrhunderts die ästhetische Vergangenheit auf artifiziellere, unsentimentalere Weise. Katafalk ist eine musikalische Studie über Erinnerung, über ihre Notwendigkeit und Unvollkommenheit.
Glanert beschwört die emphatisch besetzte Schönheit der Tradition und beschreibt zugleich seine zeitgenössische Entfernung. Für diese Schönheit stehen sieben Takte des Intermezzos aus Giacomo Puccinis Manon Lescaut, die Glanert in Instrumentation, Dynamik, Phrasierung, sogar Tempobezeichnung und Spielanweisung wörtlich zitiert. Darüber hinaus basiert die gesamte Partitur von Katafalk auf dem Material dieser sieben Takte. Ein Leitakkord etwa entsteht aus sieben der neun Melodietöne und durchzieht ab seinem ersten Erklingen in den Kontrabässen die Partitur. Die charakteristische große Septime abwärts und die chromatische Tonfolge des zweiten Puccini-Taktes dienen als motivische Keimzellen. Ganze Melodieabschnitte werden versteckt aufgenommen – in einem bitonalen Geflecht aus acht Blechbläserstimmen oder auf Vierteltöne gestaucht in den Streichern, von Trillerketten verdeckt oder rhythmisch weit gedehnt.
Der formale Kunstgriff ist so zunächst nur lesend zu entschlüsseln. Glanert hat im Arbeitsprozess das Zitat dekonstruiert, wählt für den Ablauf von Katafalk jedoch den umgekehrten Vorgang der (Re-)Konstruktion. Den Zuhörer überrascht er so beim ersten Hören, das zweite Hören wird zur Spurensuche. In einer Entwicklung über 290 von insgesamt 344 Takten spielt Glanert mit Ahnung und Anklang von Vertrautem. Erst nach 14 Minuten ist die Erinnerung für einen kurzen Moment Wirklichkeit: das Zitat erklingt im Original – um durchbrochen und überlagert zu werden.
In vier größere Abschnitte lässt sich das Werk formal unterteilen. Wie die vier Seiten eines Katafalks eröffnen sie unterschiedliche Perspektiven auf das Vergangene. Zahlreiche Zwischentitel gliedern die Partitur kleinteilig. Der erste Abschnitt verbindet vier "Aphorismen" und drei "Gesänge". Glanerts Musik entsteht aus dem Geräusch, das sich über einzelne Töne, Glissandi, Tonfolgen bis zum Zusammenklang konkretisiert. Während die "Aphorismen" unterschiedlicher Kürze kammermusikalisch geprägt sind, der große Orchesterapparat immer wieder auf ein Streichquartett konzentriert, weisen die "Gesänge" größere Zusammenhänge auf. Der "Dritte Gesang" steigert sich bis zum fff-Ausbruch des "Relikts". Über einem D-Moll-Akkord der Streicher und Holzbläser ist das markante Melodie-Geflecht in Trompeten und Posaunen zu hören.
Wie eine Signatur prägen zwei verkürzte Wiederholungen des "Relikts", im Wechsel mit fünf "Fragmenten", den zweiten Formabschnitt. Wieder im Geräuschhaften mit huschenden Streicher-Tremoli beginnend, durchlaufen die motivischen Elemente weitere Metamorphosen, bis "Fragment 5" den zweiten Abschnitt ruhig beschließt.
Drei "Rituale" stehen am Beginn des dritten Teils, gefolgt von dem unheilverkündenden "Menetekel: Fragment 6-11". Er ist geprägt von kontinuierlicher Beschleunigung, rhythmischer Motorik und Verdichtung immer prägnanterer Konkretionen. Melodische Abstürze und Aufschwünge, Flatterzunge und Röhrenglocken, Trillerkaskaden und Melodiefetzen treiben das Orchester in scheinbar tumultuarische Verwicklungen.
Als erlösender Durchbruch eröffnet das Puccini-Zitat den vierten Teil. „Con molta anima, lusingando“ (also: mit viel Seele, schmeichelnd) zu spielen, erklingt es in seiner Originalgestalt, in große Zartheit zurückgeführt, von kurzem Atmen unterbrochen und gedehnt. Der "Vierte Gesang: Großer Fluss" lässt es klanglich verblassen, von Nebentönen, Luft- und Klappengeräuschen begleitet. „Ohne Ausdruck, gleichgültig“ verliert die Erinnerung ihre Lebendigkeit. Immer gedämpfter und fahler verklingt sie, mit fast mechanischer Wiederholung der beiden letzten Melodietöne.
© Swantje Gostomzyk
"Die Komposition hält, was das Programm verspricht: Sie spiegelt das Ringen unserer Zeit um eine eigene Tonsprache, die Erkenntnis, daß kein Weg zurückführen kann und den trotzdem bestehenden Wunsch nach Schönheit und vollendeten Formen der Vergangenheit und vor allem nach Melodie. Sie wird in Glanerts sinfonischen Metamorphosen durch ein Thema aus Puccinis Manon Lescaut symbolisiert... Die Passagen sind sehr schlüssig disponiert im vierteiligen Ablauf. Hinzu kommt farbige Klanglichkeit, eine sehr beredte, eindeutig moderne Orchestersprache. Ein Stück, das Perspektive hat." (Gabor Halasz, Die Rheinpfalz, 18.03.1998)
"Glanerts Farben sind in den letzten Jahren reicher, die Instrumentation virtuoser geworden, die Extreme der Partitur differenzierter. Hier zeigt sich Glanert als Komponist von beachtlicher Eigenständigkeit, der weiß, was er sagen will und wie es zu sagen ist. Seine Musik zwingt den Hörer zu Konzentration und Anheimgabe." (Stefan Koch, Mannheimer Morgen, 18.03.1998)