Bote & Bock
Streichquartett III ist die dritte Komposition, die Isang Yun in Europa veröffentlichte. Für sein Streichquartett I – Yun orientierte sich hier an Debussy – und für andere Kammermusikwerke hatte er 1955 den Seouler Kulturpreis erhalten, die höchste Auszeichnung, die er in seiner Heimat erringen konnte. Um Anschluss zu finden an die westeuropäische Avantgarde, war Yun dann im Juni 1956 nach Europa gekommen, wo er von neuem studierte. In Paris entstand sein Streichquartett II, das er später zurückzog (es gilt als verschollen). Im August 1957 ging Yun nach West-Berlin, um bei Boris Blacher und dem Schönberg-Schüler Josef Rufer Komposition zu studieren. Im Juli 1959, nach Abschluss seines Studiums an der Hochschule für Musik, beabsichtigte Yun, zu seiner Familie nach Süd-Korea zurückzukehren. Doch er erfuhr, dass zwei seiner Werke, die Fünf Klavierstücke (1958) und die Musik für sieben Instrumente (1959), im September bei Avantgarde-Festivals in Bilthoven und Darmstadt zur Uraufführung gelangen sollten. Yun blieb in Deutschland.
Eine der Prüfungsaufgaben an der Berliner Musikhochschule war die Komposition eines langsamen Satzes für Streichquartett. Nach der Abschlussprüfung schrieb Yun noch die Ecksätze und reichte das Werk als Streichquartett III der Jury des 34. Weltmusikfests der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik ein. Das Werk wurde angenommen, aber nur die Sätze I und III wurden im Juni 1960 durch das Prager Novák-Quartett in Köln uraufgeführt. Den langsamen zweiten Satz hatte Yun vor der Uraufführung kurzfristig zurückgezogen, weil er glaubte, bei der Komposition zu viele Rücksichten auf die Professoren der Berliner Hochschule genommen zu haben. Ein gänzlich neuer Mittelsatz entstand dann 1961, während es in den Ecksätzen nur geringfügige Korrekturen gab.
Kantable Motivzellen, zuweilen auch thematische Bildungen mit durchaus schönbergischer Gestik scheinen Elemente motivisch-thematischen Arbeitens zu verbergen. Sie wirken wie eine Reminiszenz an das europäische Musikdenken und tragen durch gelegentliche und unsystematische Wiederaufnahmen sogar zu einem über die Satzgrenzen hinausreichenden Zusammenhalt bei. Aber sie sind nicht konstitutiv für die Form im Sinne einer motivisch-thematischen Durchbildung des Tonsatzes.
Streichquartett III ist schon ein typisches Klangstück von Isang Yun, im Vergleich zum fast drei Jahrzehnte jüngeren Streichquartett IV (1988) jedoch kristalliner, kontrast- und gestaltenreicher. Mehr als dieses verfolgt es Prinzipien der Reihung; noch nicht verwirklicht sind Yuns späteres Prinzip des pausenlosen Klingens und das Verfahren des auf kleinstem Raum gleitenden Übergangs.
Die relative Statik ist entwickelt aus der Klangerfahrung der tausend Jahre alten chinesisch-koreanischen Hofmusik; die in Europa seinerzeit neuen Spieltechniken erinnern die Spielpraxis der koreanischen Zupf- und Streichinstrumente. Charakteristisch ist die Vorstellung vom Ton als einer Linie, als lang ausgehaltenen Klang. Der "liegende", ruhende und lineare Klang wird ergänzt, belebt und auch durchkreuzt durch die bewegte Artikulation oft nur einer Stimme, die die stets erstrebten Ideale der harmonisierenden Verschmelzung und Balance sofort gefährdet. So treten im fünfteiligen ersten Satz Moderato im amorphen Beginn nacheinander die Bratsche, sodann die Violine und schließlich das Cello solistisch hervor. Der zweite Abschnitt wird eröffnet durch den Laut des "Pizzicatoglissando", die Saite wird angerissen und der Ton gleitet kraftvoll in eine unbestimmte Höhe. Während der erste Abschnitt folgenlos in sich zusammenzufallen scheint, führt der zweite zur Vereinheitlichung. Der bewegte dritte Abschnitt hebt an mit motorischen Tonwiederholungen, punktförmigem Auf und Ab und durch Glissandi verzahnten Tongruppen. Der vierte Abschnitt, eingeleitet mit einem Solo des Violoncellos, vereint die zuvor exponierten Elemente. Im ruhigen Epilog wirken die Ereignisse nach; die erreichte Einheit wird hier jedoch zugleich wieder relativiert.
Die allmähliche Aufwärtsentwicklung im Adagio wird immer wieder durch harte Klangeffekte wie zum Beispiel col legno battuto [mit dem Holz des Bogens geschlagen] abgebrochen. Das konturenbildende Unisono, für Yuns spätere Werke bedeutsam, ist in diesem Satz bereits deutlich vorgezeichnet.
Ein tänzerischer, fast scherzoartiger Gestus dominiert im abschließenden Allegro. Wie ein Trio, mit Pizzicati über dem zunächst "liegenden", bordunartigen Celloklang, erscheint das Poco meno mosso. Nach dem (nachdrücklich) thematischen Adagio-Einschub erinnert das Allegro energico mit der Spielanweisung sempre marcatissimo an den scherzoartigen dritten Abschnitt aus dem ersten Satz. Der zum Teil humoristische und vergleichsweise traditionelle letzte Satz bringt – so Yun – "Restelemente meiner früheren Musik".
Walter-Wolfgang Sparrer
Salwyria-Ensemble: Götz Hartmann & Margarete Adorf (violin), Irmelin Thomsen (viola), Elisabeth Woll (cello)
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 006