Sikorski
Das Kreuzsymbol spielt im Schaffen von Sofia Gubaidulina eine zentrale Rolle. Es steht nach ihrer Auffassung mit seinem horizontalen Balken für unser in der irdischen Zeit verlaufendes Leben. Der vertikale Balken steht für die Verbindung des Menschen mit dem Göttlichen, mit einer Kraft, die außerhalb unserer Zeit steht, die Kunst im eigentlichen Sinne erst ermöglicht, da sie alles, was wir tun, der realen Welt entrückt und auf eine höhere Ebene erhebt. Das Kreuz ist Sofia Gubaidulinas Lebensprinzip, mit dem sie die Welt interpretiert, das ihrem Leben Sinn verleiht und das ihr Kraft und Trost gibt. Entsprechend verarbeitet die Komponistin dieses Kreuzsymbol auf vielfältige Weise. In ihrem Doppelkonzert „Sieben Worte“ für Violoncello und Bajan etwa - wahrscheinlich das meistgespielte Werk Gubaidulinas - ordnet sie die Noten der Partitur an einer zentralen Stelle so an, dass sie die Form eines Kreuzes bilden. Auch die Streichinstrumente verkörpern bei ihr das Kreuzsymbol, da deren Spieler ihre Bögen quer über die Saiten ziehen, sie also kreuzen. Bei dem nun folgenden Werk „In croce“ aus dem Jahr 1979 wird das Kreuz bereits im Titel genannt, wenngleich auf Italienisch. Doch was noch wichtiger ist: Beide Instrumente beginnen in entgegengesetzten Lagen – das Bajan sehr hoch, der Kontrabass sehr tief –, kreuzen sich im Verlauf des Werkes und enden in der Lage des jeweils anderen Instruments - also das Bajan sehr tief und der Kontrabass sehr hoch. An dem Punkt, wo sich beide Instrumente kreuzen, kommt es zu einer Art Explosion in Form von erregten Kontrabasstremoli und Bajanclustern (Skizze hochhalten). (Hans-Ulrich Duffek)
Martin Heinze / KlangArt Berlin and friends
NEOS Records NEOS 11106