Bote & Bock
Mit dem Duo für Violoncello und Harfe – das Werk entstand bald nach der insgesamt eher massiven Symphonie I (1982/83) – fand Isang Yun 1984 zu einem neuen Ton lyrischer Kantabilität. Der strömenden, weit gespannten Melodik, die Yun aus kleinsten motivischen Zellen entwickelnd variiert, entspricht eine radikale Vereinfachung der Harmonik. Wesentlich ist gleichwohl die Linearität der melodischen Entwicklung, die Auffassung vom Ton als "Pinselstrich", dessen Breite durchaus auch einen tonalen Zusammenklang erfassen kann. Für die Konstruktion entscheidend ist die Distanz zwischen zwei Tönen oder auch das Insistieren auf nur einem Zentralton, der ornamental eingekreist oder umspielt wird.
Charakteristisch sind intervallische Zellen aus einer Konsonanz und einer Dissonanz, so am Beginn des ersten Satzes ein Kern aus Dezim (bzw. Kleinterz) plus Sept (bzw. Ganzton) oder zu Beginn des dritten Satzes der Ausgang von der Konfiguration Halbton plus kleiner Sext. (Der in tänzerischer Rhythmik einsetzende Mittelsatz bringt die Folge Halbton, Ganzton und große Sext.) Analogien zu Debussy resultieren aus einer beiden Komponisten ähnlichen Intervallkombinatorik, aus der Arbeit mit "Modellvarianten", also aus dem Verfahren, ein Motiv als modellhaften Nucleus zu exponieren, um ihn sodann variiert zu wiederholen. Während zumal die erste Sonate des späten Debussy (für Violoncello und Klavier, 1915) noch (bzw. wieder) vom Auflösungszwang tonaler Harmonik bestimmt scheint, geht Yun aus von der Emanzipation des Klanges von tonalen Bindungen; ein tonal dechiffrierbarer Zusammenklang ist für ihn ein Mittel zur Verständlichkeit, das er im Übergang zu seinem letzten Stil gebrauchte nach langjähriger (serieller bzw.) postserieller kompositorischer Praxis.
Die drei Sätze sind – insbesondere durch das rhythmische und diastematische Modell auftaktiger Aufwärtsgesten – zyklisch aufeinander bezogen. Der Verlauf zielt über bloß Zuständlich-Kontemplatives hinaus auf allmähliche Veränderung, auf Verwandlung und Verinnerlichung. Die melodische Kontur des relativ ruhigen ersten Satzes erinnert an einen sinusförmigen Verlauf: Auf den nach oben gewölbten Halbkreis – Sinnbild des Himmels – folgt der nach unten gewölbte; die variierte Wiederkehr des Beginns endet in der Höhe. Der zweiteilige zweite Satz hebt mit stilisierten Tanzrhythmen an, denen erneut ein gesanglicher Gestus antwortet. Eine noch elementarere Reduktion des Tonsatzes prägt schließlich den langsamen dritten Satz. Yun entfaltet hier weite Intervalle auf engem Raum, die er als "Befreiung des Atmens", als "raumgreifende Befreiung" auch im übertragenen Sinne verstanden wissen wollte.
Weite Intervalle hatte Yun in früheren Werken nur selten verwendet. Doch ist gerade der Beginn des dritten Satzes des Duos ein Zitat aus einem anderen Zusammenhang: Die ersten acht Takte sind dem langsamen Mittelteil des Doppelkonzerts für Oboe und Harfe mit kleinem Orchester (1977) entnommen. Die Stelle, die Yun auszugsweise wiederverwendet (er zitiert wörtlich Cello und Harfe, nicht aber Solo-Oboe, Glockenspiel, Gong und Tempelblock) ist im Doppelkonzert programmatisch bezogen auf die zärtliche Begegnung eines Liebespaars. (Nur vermutet werden kann, dass diese Stelle und vielleicht der gesamte dritte Satz den ersten Einfall für die Komposition bildete und die vorausgehenden Sätze kontrastierend daraufzukomponiert wurden.)
Die Partitur widmete Yun den Interpreten der Uraufführung; die innere Widmung der Komposition gilt jedoch der Hochzeit und dem Schicksal seines Sohnes Ugiong und dessen Frau.
Walter-Wolfgang Sparrer (2000)