Bote & Bock
Nore ist ein Gelegenheitswerk aus dem Jahr 1964, mit dem Yun den Wunsch einer Cellistin erfüllte, die ihn für ein Festkonzert anlässlich des Staatsbesuchs des südkoreanischen Präsidenten in Bonn kurzfristig um ein Stück für Violoncello und Klavier gebeten hatte. Die Komposition erwies sich für die Cellistin aber als zu schwer und blieb daher unaufgeführt. Als Yun in Seoul inhaftiert war, fand sein Verleger und Freund Harald Kunz das Manuskript in Yuns Wohnung in Berlin-Spandau. Wolfgang Boettcher und Hans Zender spielten es im Verlag Bote & Bock vom Blatt, und Nore gelangte am 3. Mai 1968 in Bremen durch Siegfried Palm und Hans Otte zur Uraufführung. Yun, der aus stilistischen Gründen Vorbehalte gegenüber diesem Werk hatte, gab dazu nur ungern sein Einverständnis; gleichwohl überarbeitete er die Partitur vor der Drucklegung 1968 in Seoul.
Seine Bedenken hinsichtlich der Veröffentlichung dieses Stücks erklären sich durch einen Tonsatz, der hinter den in Gasa für Violine und Klavier (1963) und Garak für Flöte und Klavier (1963) erreichten Grad an Komplexität und Avanciertheit zurückfällt. Doch zeigt dieses für Yuns Komponieren in den sechziger und siebziger Jahren kaum repräsentative Werk einen Weg, der die Charakteristik seines letzten Stils bereits vorbereitet. Die Spielanweisung für Nore – wörtlich: Gesang –, die zugleich eine Ausdrucksbezeichnung ist, lautet "Cantabile"; es dominieren terzgeschichtete Klangbildungen, deren Eindeutigkeit Yun durch dissonierende Zusatztöne bzw. die heterophone Aufsplittung einzelner Töne stets relativiert.
Walter-Wolfgang Sparrer (1996)
Isang Enders, cello / Andreas Hering, piano
Berlin Classics 0300430BC