1(=picc).1.1.1-1.1.1.0-perc(1)-strings(min.1.1.1.1.1)
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Bote & Bock
Isang Yun baut immer wieder homogene, aber vielschichtige Werke, bei denen alles aufeinander bezogen scheint. Im organischen Fließen seiner der Erfahrung der ostasiatischen Variantenheterophonie nachgebildeten Musik ist eine der Tendenzen der Prozeß der Verschmelzung höchst gegensätzlicher Klangcharaktere. Auch im Kammerkonzert I (entstanden Anfang 1990) geht es gleichsam um einen Wettstreit der Klangwelten. Dieser meint symbolisch auch außerhalb der Musik liegende Vorgänge mit. Drei Klangschichten rivalisieren miteinander: Der "Härte" der Blechbläser (Horn, Trompete, Posaune) steht die "Weichheit" der Streicher gegenüber. Vermittelnd wirken die unruhigflirrenden Farben der Holzbläser (Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott). Das Schlagwerk (Tom-Toms, Becken, Tempelblocks, Gongs, Glockenspiel und Maracas) gebraucht Yun eher zurückhaltend.
Das Besondere der Konzeption des Kammerkonzerts I ist die Form und Perspektive dieses Wettstreits. Fast jeder der Instrumentalisten hat auch solistische Aufgaben. Yun konfrontiert die Idee des Orchestralen (oder Symphonischen) mit konzertanten (oder kammermusikalischen) Prinzipien. Im fünften Takt wird aus einem nahezu orchestralen Quartett der Holzbläser ein Fagottsolo herausgelöst. über Duo- und Trioformationen wird der solistische Faden bald wieder zum Quartett vereinigt.
Das äußerlich einsätzige Werk hat drei Teile:
I. Die Musik hebt an mit lockenden Aufwärtsgesten des Quartetts der Holzbläser, zumal der Flöte. Diesen stehen knappe, punktartige Akzente des Blechbläsertrios gegenüber. Der klareren Rede des Fagotts gelingt es, dem Horn eine melodische Floskel zu entlocken, die Statik der Blechbläser also andeutungsweise zu verflüssigen.
Die melodische, konturbildende Funktion des Fagotts wird nun abgelöst durch das Duo von Flöte und Oboe; das Trio der Blechbläser durch das Quintett der Streicher. Dem einfachen und ruhigen Gesang der Oboe (mit Klarinette und Fagott) antwortet im vielfältig bewegten Klang alsbald das Horn. Ein erstes Miteinander der rivalisierenden Gruppen ist exponierend erreicht.
Das abermalige Gegenüber der Holz- und Blechbläser, diesmal durch Schlagwerk flankiert, bringt eine erweiterte und durch einen kontrastierenden Einwurf der Blechbläser intensivierte Wiederholung''. Es entsteht ein orchestrales Zusammen wirken.
Der Einsatz der Streicher leitet eine ruhigere Phase ein mit den Duos Oboe/Horn, Horn/Fagott sowie zuletzt Oboe/Klarinette.
II. Der langsame Mittelteil beginnt mit einer Kantilene der sordinierten Posaune. Nach dem Erwachen der Blechbläser- und Streicherwelt tragen die Holzbläser zu Öffnung und Weite bei. Die – besonders delikat instrumentierte – rückläufige Bewegung setzt ein mit einem durch Glockenspiel begleiteten Hornsolo.
III. An den Gestus des Anfangs erinnert nun das Streichquintett, ehe ihn das Quartett der Holzbläser aufgreift. Die Streicher – Rollentausch – verhalten sich bald starr wie die Blechbläser zu Beginn. Und die Holzbläser imitieren noch die Idiomatik des Blechbläsereinwurfs aus dem ersten Teil 1, ehe diese real einsetzen. Das konzertant Bewegte und symphonisch Verdichtete mündet in eine Klanginsel extremer Positionen: Piccoloflöte mit Posaune, erste Violine mit Kontrabaß. Hier zeigt Yun Perspektiven für weitere Steigerungen.
Aufwärtsgesten der Violine und des Fagotts treiben den turbulenten Prozeß voran. Als das Blech – robust und statisch – dominiert, plädiert auf einer zweiten Klanginsel die Violine für mehr Flexibilität und Beweglichkeit.
In der Erregung der Schlußphase deutet sich im symphonischen Klang ein Ausgleich der rivalisierenden Welten an: Mit den Extremen von flächiger Statik und bewegtem Aufwärts nehmen die Instrumentengruppen jeweils intermittierend die Haltung der andern an. In einem Epilog zieht Yun die entfesselte Musik ins Innere zurück.
Walter-Wolfgang Sparrer (1990)