1(=picc).0.corA.1.1(=dbn)-2.1.0.0-perc(2):xyl/vib/glsp/maracas/claves/gong/2TD/slit dr/2hand cym/hi-hat/metronome/tuning fork-strings(solo quintet or tutti)
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Bote & Bock
Neulich, als ich den Auftrag erhielt, ein Hommage à Strawinsky zu schreiben, las ich wieder einmal die Autobiographie Strawinskys, um mich so dieser Komponistenpersönlichkeit erneut zu "nähern", um mich wieder einmal an ihn "heranzutasten". Gerade sein Lebensverlauf, der ja – implizit jedenfalls – auch seine stilistische Wendigkeit, sein "Parodieverfahren" mit aufzuschlüsseln hilft, interessierte mich einmal besonders musikalisch zu artikulieren.
Der Titel "Venezianische Schatten" zunächst scheint Assoziationen zuzulassen, als begänne sein musikalisches Leben in Venedig, also dort, wo er begraben ist, der Untertitel "Tango" zudem, als sei er (I. S.) es, der die "strengen Fesseln" zwischen musikalischen Gattungen sprengen würde, als sei dies ein Stück modisch gewordener Nostalgie ("Der letzte Tango...").
Doch sind dies nur Äußerlichkeiten eines komplex gestalteten Parodieverfahrens meiner selbst! "Den Weg entlang gehend", hier gewissermaßen "vorwärts" wie "rückwärts" gleichzeitig, von der Erkenntnis ausgehend (die übrigens B. A. Zimmermann schon lange formulierte), daß Zeit nicht nur "Jetztzeit" ist..., daß das Hineinschlüpfen in eine bestimmte Zeitepoche der Musik immer auf geschichtlich gestaltetem Hintergrund basiert, gerade bei Strawinsky...!
So beginnt mein "Hommage à I. S." zwar in "venezianischer Abschiedsstimmung": Eine über das ganze Stück ausgebreitete "unendliche Melodie" in hohen Streichern, die kontinuierlich, aber unmerklich immer tiefere Regionen erreicht und dabei sich bis zum musikalischen Aphorismus reduziert, gewissermaßen abstirbt, zudem jedoch nimmt in umgekehrter Reihenfolge gestaltet – gewissermaßen gespiegelt – das Metrum, der Rhythmus immer mehr Gestalt an (in Form eines Tangos) – Strawinsky, der vitale Rhythmiker...
Zwei diametrale Verläufe also: Ein melodisches Erstarren kontrapunktiert mit "rhythmischem Crescendo" bis zur vitalen Selbstdarstellung.
Auf diese musikalische Grundidee projiziert sind drei musikalische "Szenen" mit Textbezug aus dem Hohelied Salomonis. Es sind dies dieselben Texte, die auch I. Strawinsky in seinem der Stadt Venedig zugeeigneten CANTICUM SACRUM aufgreift bzw. vertont hat.
So stellt sich "Venezianische Schatten" dar als ein gestaltetes Wechselspiel mehrerer Ebenen, mehrerer "musikalischer Terrassen", als ein Stück, in dem das schattenhafte Echo der venezianischen Mehrchörigkeit, hier im Sinne von simultan gestalteter Mehrdimensionalität, von Ferne hineinruft...
Theo Brandmüller (Rom, 1. Juli 1981)