S,M,A,T,B; male and female chorus;
3(II,III=picc,III=afl).3(III=corA).2(II=bcl).2(II=dbn)-2.2.2.1-timp(=tamb/Baks).perc(5):xyl/2tgl/tamb/SD/TD/BD/Baks/guiro/sleigh bells/3cym/3tom-t/maracas/3Thai.gong/2hand bell/3gong/ratchet/4tpl.bl/glsp/tam-t-harp-strings
On-stage: 3 Korean Jwago-drums
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Die vier Opern Isang Yuns entstanden in dichter zeitlicher Folge zwischen 1965 und 1972: Der Traum des Liu-Tung (UA Berlin 1965), Die Witwe des Schmetterlings (UA Nürnberg 1969), Geisterliebe (UA Kiel 1971) und Sim Tjong (UA München 1972). "Im Auftrag von und in erster Linie für Bühnen des deutschen Sprachraumes geschrieben, beruhen Yuns Opern auf deutschsprachigen Originallibretti, in denen ostasiatische Stoffe [...] bearbeitet wurden. Geistiger Hintergrund und schöpferischer Ausgangspunkt [...] ist die klassische Lehre vom Tao", schrieb Harald Kunz – der Librettist der zweiten, dritten und vierten Oper – im Jahr 1987.
Wenn Yun in Bezug auf seine Musik vom "Tao" sprach, meinte er stets den philosophischen Taoismus, der durch Lao-tzu und Chuang-tzu geprägt wurde. Und mit dem Ausdruck "Lehre" bezieht sich sein Librettist, Verleger und Freund Kunz auf Einsichten, die bereits in den Lao-tzu und Chuang-tzu zugeschriebenen Schriften fixiert sind. Paradoxien wie zum Beispiel die Aussage "kurz ist nicht kurz" und "lang ist nicht lang" verweisen auf die unendliche Vielfalt und Relativität, die durch einfache, geradlinige Aussagen nicht zu fassen sind.
Allen vier Opern Yuns gemeinsam ist, dass das Geschehen in Rahmenhandlungen eingebettet ist. (In der Geisterliebe ist es die Partie der "Erzählerin", die durch die Handlung führt.) Den vier Opern gemeinsam ist auch ihr epischer Grundzug – die Handlung wird vorwiegend linear berichtet und vorgeführt; ein geistiger Inhalt wird über gleichnisartige Märchenstoffe thematisiert, in Musik gesetzt und szenisch veranschaulicht. Den Text deutet Yun im einzelnen musikalisch sehr genau aus; der Szene scheint er dabei wenig Raum zu lassen. Es dominieren stehende, in sich bewegte Tableaux [koreanische Übers. etwa: Szenenbilder]. Und die Komposition unterliegt einigen wenigen übergeordneten Kategorien oder Formgesetzen.
Isang Yun betrachtete alle seine Kompositionen als Einheit, als zusammenhängendes Ganzes, und er neigte dazu, Werkgruppen wie zum Beispiel seine vier Opern als zylisch aufeinander bezogene Einzelwerke zu konstruieren. Der übergeordnete Zusammenhang stellt sich her, weil gewisse Grundelemente, -themen und Stilmittel immer neu kombiniert und variiert werden. Der Komponist Yun entwarf seine Opern primär musikalisch: Offenbar dachte er weniger an die Erfordernisse des Theaters, der Szene, sondern vor allem an den großen musikalisch-dramaturgischen Zusammenhang, den er symmetrisch konzipierte und nach dem Prinzip kontrastierender Steigerung und Intensivierung entwickelte. Stilistischer Ausgangspunkt der Opern dürfte der musikalische Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts sein: Yun, der Bernd Alois Zimmermanns "Soldaten" selbstverständlich kannte, knüpfte eher an den frühen Schönberg sowie Bergs "Wozzeck" an und entwickelte daraus – vermittels der ostasiatischen Stoffe und Stilistik – Neues und Eigenes.
Drei der Opern beruhen auf chinesischen Quellen, die vierte und letzte Oper auf dem koreanischen Märchen Sim Tjong, das als P’ansori in Korea weithin bekannt ist. Der Geisterliebe (1969/70) zugrunde liegen Erzählungen aus der chinesischen Sammlung Liaozhai zhiyi, die von Pu Songling zusammengestellt und in China um 1700 publiziert wurde. Harald Kunz verwendete Übertragungen, die Martin Buber 1948 bei Manesse in Zürich als Chinesische Geister- und Liebesgeschichten herausgab und legte seinem Libretto Motive aus drei Erzählungen zugrunde: Wiedergeburt, Die Füchsin und Die Schwestern.
Strenge symmetrische Verhältnisse zeigt bereits das Personenverzeichnis der Geisterliebe (komponierte im Auftrag der Stadt Kiel, nachdem Yun 1969 den Kieler Kulturpreis erhalten hatte). Nach dem Modell einer Mudang, einer koreanischen Schamanin, angelegt ist die Partie der Erzählerin (Alt), die kommentierend durch die Handlung führt. Ihr zur Seite steht der Chor der Zuhörerinnen (Frauenchor). Im Hintergrund agieren die Dämonen (Männerchor). Protagonist des Dämonenreichs ist Son-Long (Bass), der auch in der Gestalt des Mandarins und Hausbesitzers Tschang und des Mönchs Tsiä-Tse auftritt.
Thema der abendfüllenden Oper in zwei Akten ist der Konflikt von Eros und Intellekt, Trieb und Vernunft, maßloser Gier und kluger Beschränkung. Diese Gegensätze erscheinen personifiziert zunächst in dem naiven jungen Gelehrten Pan-Hon-San (Tenor) einerseits und den beiden Füchsinnen Ah-Hsiu (Sopran) und Liang-Kung (Mezzosopran) andererseits. Die Welt der Geister dient letztendlich jedoch als Katalysator für den inneren Reifeprozess des Protagonisten Pan-Hon-San.
Einleitend stellt die Erzählerin den jungen Intellektuellen vor. Und auf einer ersten Stufe der Handlung zieht der Student Pan-Hon-San, der die Existenz der Geister leugnet, in ein Haus, in dem es spukt. Als er eine Abhandlung "Über die Nicht-Existenz der Geister" zu verfassen beginnt und über einen Satz von Kung Fu-tzu grübelt ("Irrlehren anzugreifen, schadet"), erblicken die Füchsinnen Ah-Hsiu und Liang-Kung den jungen Mann, dessen Manuskript von Geisterhand verschwindet. Die Erzählerin erläutert, dass Füchsinnen "Ruhelose" seien, "zwischen Menschenleben und Menschentod".
Die Füchsinnen begehren Pan; er erblickt sie und fällt in Schlaf. Der Konflikt zwischen der jüngeren As-Hisu, die dem Jüngling hemmungslos verfallen ist, und der älteren, erfahreneren Liang-Kung, die weiß, dass die Liebe der Füchsinnen den Tod des Menschen herbeiführen kann, treibt die Handlung voran.
Son-Long, der Richter der Unterwelt, wird gerufen. Er bestätigt Ah-Hsius Sicht, dass ein rechter Mann auch "Nicht-Tun" sowie Leidenschaft, Liebe und Leid erfahren müsse. Son-Long verwandelt Pan im Traum zum Hassenden, Liebenden und Leidenden. Der schmerzhafte Konflikt erscheint somit in den inneren Kern von Pan verlagert ("Kopf wird Herz, wird Leib, wird Liebe!")
Der zweite Akt beginnt mit einer Mahnung der Schamanin: "Geisterliebe bringt Tod dem Mann, / Menschenliebe bringt Tod, / bringt Leben den Geistern." Während die Füchsinnen durch die Liebe zum Menschen Kraft erhalten, verliert der Mensch durch Menschenliebe zu den Füchsinnen alle Kraft. Erstmals ist Pan verliebt und liebeskrank. Der Mönch Tsiä-Tse belehrt ihn, dass Füchsinnenliebe den Tod bedeute. Pan erlebt Todesangst, erfährt dann aber, dass in seiner Liebe aber auch die Chance liegen würde, die Füchsinnen zu erlösen.
Steigernd wie in einem Ritual ruft Pan sodann, unterstützt von den Dämonen, die Urmutter Hsi Wang-Mu an. Die Göttin antwortet: Ah-Hsiu und Liang-Kung sterben und werden sodann als Menschen wiedergeboren. Ekstatische Steigerungen begleiten neues Leben und neue Hoffnung. Dass Pan mit seiner Frau Ah-Hsiu und seiner Geliebten Liang-Kung vereint ist, währt jedoch nicht lange. Am Ende muss auch er fern gehen, sterben.
Yuns Musiktheater ist altmodisch und zeitlos-modern zugleich: Texte und äußere Handlung sind bisweilen befremdlich, manchmal mystifizierend, gelegentlich auch einfach banal. Doch geht es hier kaum je um die äußere Darstellung, sondern immer um den inneren, geistigen und psychologischen Zusammenhang. Yuns Musiktheater ist auch - zumindes partiell - orientiert an der alten Tradition des Nô-Spiels. Die Personen und die äußere Handlung stellen innere Regungen, Bewegungen im analytisch schwer fassbaren psychischem Innenraum, in bisweilen heftiger dramatischer Intensität dar.
Walter-Wolfgang Sparrer (2004)