Bote & Bock
Spätestens seit dem Konzert für Violoncello und Orchester (1975/76) wurde der "Hauptton" A für Isang Yun zu einer Chiffre für Harmonie, für Reinheit und Vollkommenheit. Formal bildet das A im Interludium eine Symmetrie- und Spielgelachse. Der Ton A erscheint eindringlich in mehreren Oktavlagen, wird zur Achse im Tonraum, zum Mittelpunkt symmetrischer Akkordbildungen; er ist als imaginärer Bezugspunkt auch durch Aussparung präsent. Es geht um eine wechselnde Beleuchtung dieses Tons in wechselnden Zusammenhängen. Interludium A ist nach Ravels "Le Gibet" [Der Galgen] aus Gaspard de la Nuit bzw. der 10. Sonate für Klavier von Aleksandr Skrjabin die wohl konsequenteste Auseinandersetzung mit einem einzigen Ton in der Geschichte der Klaviermusik. Die Gesamtform von Yuns Komposition kann als dreiteilig, aber auch als fünfteilig interpretiert werden.
Interludium A beginnt mit einer Einleitung aus lastenden Akkorden, die – von unten nach oben – in den extremen Registerlagen des Klaviers exponiert werden. Durch melismatische Umspielungen und ornamentale Anschwünge erstrebt Yun eine Verflüssigung der akkordischen Starre und Unbeweglichkeit.
In einem meditativ-melancholischen langsamen Teil, der erneut in dunkler Lage einsetzt und sich allmählich die höhereren Registerlagen erobert, zieht Yun sich auf den Hauptton A und einige wenige chromatische Nebentöne zurück.
Eine lebhafte Überleitung zielt auf Verflüssigung und Verschmelzung der bisher relativ statischen Aggregatzustände. In variativer Arbeit kombiniert Yun wuchernde Melismen und variable Auf- wie Abwärtsbewegungen, die in fließende Trillerfelder münden. Ein letztes Mal kehren die starren Akkorde im radikalen Auf und Ab wieder.
Versöhnlich entfaltet Yun im ausgedehnten Epilog filigrane Klangfelder in leiser Dynamik.
Walter-Wolfgang Sparrer
Kaya Han, piano
NEOS 20803