perc(to be played by singers):table bell/cyms/claves/tpl.bl/crot/hyoshigi/2maracas/tgl
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Bote & Bock
Obwohl sich Memory in bezug auf Klang, Ausdruck und Form in Yuns Gesamtwerk harmonisch einfügt, nimmt es aufgrund seiner ausgefallenen Besetzung, seiner experimentellen Notation und der überwiegend leisen Dynamik doch eine besondere Stellung ein. Wenn auch die Notation hinsichtlich der Tonhöhen und der Rhythmik auf den ersten Blick nicht bis in alle Einzelheiten hinein exakt determiniert erscheint, so ist sie immerhin doch so genau, dass den Interpreten nur wenig Freiraum bleibt. So sind die Stimmen zwar ohne Schlüssel aber eben doch auf fünf Linien notiert, und es gelten relativ exakte Vorgaben für die diversen Abstufungen zwischen Singen und Sprechen (vom geräuschhaften Flüstern über halb gesprochen, halb gesungen bis hin zum reinen Singen); zudem gibt es graphische Symbole für tiefste und höchste Töne der jeweiligen Stimme, für Falsett, geräuschhafte Artikulation sowie "fast stimmlos, trocken und kurz". Die Sänger sollen möglichst atonale Intervalle verwenden und Zusammenklänge auf derselben Tonhöhe vermeiden. Der zeitliche Verlauf ist durch Taktstriche gegliedert und die Dauer eines jeden "Takts" auf vier Sekunden festgelegt. Mehrere Schlaginstrumente sind von den Sängern zu spielen: Tischglocken, ein hängendes Becken, Claves, Tempelblöcke, Zimbeln, Hyoshigi, zwei Maracas, Triangeln.
Der Autor des Textes, der bisher nicht näher identifiziert werden konnte, ist Du Mu (auch: Tu Mu; 803–852). In einer Werkeinführung, die Yun zur Uraufführung lancierte, heißt es: "Als Textvorlage dient die Klagedichtung 'Epitaph' von Du-Mok (China, späte Tang-Dynastie, 9. Jh.): der Dichter trauert am Grab seines Freundes, während er in wehmütiger Naturstimmung seine Gedanken der Vergänglichkeit des Lebens widmet. Der Vierzeiler wird in der Komposition weitgehend verfremdet und verschiedenartig kombiniert. Neben dem poetischen Inhalt werden auch die phonetischen Reize der Worte, die in sinokoreanischer Aussprache vorgetragen werden, als akustisches Material herangezogen. Die deklamatorischen Linien, die Wortbestandteile sowie die verschiedenen durch vokale Artikulationsarten entstehenden Nuancen – fern, nah, rein, trüb, flach und tief – sind Elemente, die das Stück formen und färben. Die von den drei Interpreten bedienten Schlaginstrumente (hohe Metall- und Holzschlaginstrumente) sollen die Naturstimmung transparent werden lassen".
Für Memory variierte Yun ein Konzept, das er erstmals in Gagok für Stimme, Gitarre und Schlagzeug (1972) erprobte. Im Vergleich zu Gagok verstärkte er den Vokalsatz, während er die instrumentale Begleitung reduzierte. Stilistisch knüpft Yun auch in Memory an altkoreanische Liedgattungen an. Für den Vokalstil dieser höfisch-aristokratischen Tradition ist ein langsames Vortragstempo charakteristisch, wobei die einzelnen Textsilben lang ausgehalten und melismatisch gedehnt werden. Die Ästhetisierung des Singens reicht im Interesse des Wohlklangs so weit, dass die Silben sogar in ihre vokalen Bestandteile zerlegt werden.
Memory zeigt eine symmetrische Anlage, deren Genauigkeit Yun durch phantasievolle Abweichungen zugleich auch wieder relativiert. Im großen hat die Komposition zwei einander entsprechende Teile, die durch einen Pausentakt mit der Anweisung völlig still stehend voneinander abgesetzt sind. Beide Teile können in jeweils drei größere Abschnitte gegliedert werden. Im ersten Teil folgen zwei Strophen auf eine geräuschhafte Einleitung. Der zweite Teil erscheint in drei Strophen gegliedert. Die fünf Strophen sind (mit Ausnahme des durch eine Generalpause geregelten Übergangs zwischen der zweiten und dritten Strophe) durch instrumentale Zwischenspiele voneinander getrennt. So entsteht hier wiederum eine an die altkoreanische Liedgattung Kagok angelehnte Form. Der Text eines Tan'ga-Gedichts (drei Zeilen zu je fünfzehn Silben) wird dort auf fünf musikalische Abschnitte (Chang) verteilt. Nach dem dritten Chang erklingt ein instrumentales Zwischenspiel (Chungyôûm); der vierte Chang enthält nur drei Silben und bringt die "Wende" zum poetischen Höhepunkt.
Nach einem leisen und geräuschhaften ("durch Halbpfeifen das Windgeräusch 'sh' erzeugen") Beginn, der mit Tischglocken begleitet wird, setzt Stimme I (Sopran, in mittlerer Höhe) zu einem ersten, gedehnten und noch halb gesprochenen Gesang an, der klingenden Rezitation der Silben "Go in bun ssu rip". Nacheinander werden die Singstimmen vorgestellt; nur die Stimmen II und III treffen kurzzeitig aufeinander. Ein sog. "kleines Tempelblock-Konzert" fungiert als instrumentales Zwischenspiel zur 2. Strophe, in der die Stimmen von tiefen Lagen aus einsetzend erstmals forte und erstmals gemeinsam agieren.
Vokalist III beginnt die sehr kurze 3. Strophe mit einem Ansatz wie bei Stotteren und dann mit schönem Ton; ein kleines Zimbelkonzert schließt diese Eröffnung des zweiten Teils ab. Als Höhepunkt erscheint die über drei Phasen ausgedehnte 4. Strophe, in der die Singstimmen zunächst mit allmählich zunehmendem Vibrato auf der Rezitation des Vokals u klangfarblich vollkommen verschmelzen. Der Einsatz der HyÜshigi-Hölzer samt Claves und Tempelblock treibt den Verlauf dann im heftigen forte energisch voran (die lang gezogenen Töne immer intensiv halten). Die Einheit der Stimmen wird in einer dritten Phase wieder destabilisiert. Klänge des Tempelblocks, von zwei Maracas sowie ein Beckenschlag leiten über zur 5. Strophe, in der die Musiker durchgängig sowohl singen als auch auf ihren Instrumenten sich begleiten.
Walter-Wolfgang Sparrer (2001)
Gisela Saur-Kontarsky, Carla Henius, William Pearson
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 002