3(III=picc).2.2.bcl.2.dbn-4.3.2.1-timp.perc(4):tgl/vib/sm cym/lg cym/TD/SD/BD/tam-t/low bells-harp-pft-cel-strings
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Bote & Bock
In den Symphonischen Szenen wird versucht, eine bildhaft-statische Form mit musikalischen Mitteln anschaulich zu machen. Dabei wird die "Szene" als ein musikalisches Bild verstanden, gestaltet durch die plastischen Anordnungen des musikalischen Materials in der Zeit.
Drei sich gegenseitig bereichernde Strukturen, die in der Verschmelzung und Dichte des polyphonen Materials einen gleichsam kolloidartigen Charakter annehmen, können als musikalische Beispiele einer Ausdrucksform gedeutet werden, wie sie in der Malerei von Jackson Pollock vertreten wird. Diese drei Strukturen, voneinander durch Übergangsglieder getrennt, werden durch eine Einleitung und einen mit dieser in Beziehung stehenden Schlußteil zusammengefaßt.
Symphonische Szene ist das erste Werk für großes Orchester, das Isang Yun in Europa komponierte. Vorausgegangen war das für eine kleinere Besetzung disponierte Orchesterstück Bara (1960). Im Gegensatz zu dem koreanischen Titel Bara – »Bara« ist der Name des im buddhistischen Tempeltanz Baramu verwendeten Beckens – verweist der Titel Symphonische Szene auf den Malstil von Jackson Pollock (1912–1956). Jackson Pollock ist der vielleicht exponierteste Vertreter der »New York School« des abstrakten Expressionismus durch sein Verfahren des Drip-Painting, des getropften (und auch geschleuderten) Farbauftrags.
Pollocks Bilder sind, wie man erst später erkannte, weniger abstrakt als es manchen Betrachtern auf den ersten Blick erschien. Auch Yuns Symphonische Szene zeigt – deutlicher vielleicht noch als Pollocks Bilder – das Bestreben um eine artikulierte Formgliederung und vor allem den Versuch, individuelle und kollektive Klangprozesse aufeinander zu beziehen.
Die Niederschrift der Partitur wurde abgeschlossen im »Februar 1961«. Erstmals aufgeführt wurde die Symphonische Szene bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt im selben Jahr. Wohl noch vor der Uraufführung verfasste Yun eine Einführung, deren undatiertes Typoskript sich im Archiv des Verlags Bote & Bock erhalten hat. Mit den darin beschriebenen »drei Strukturen« des Werks meint Yun konkrete Materialzustände – wahrscheinlich liegende Klänge (Pinselstriche) einerseits, punktförmige Klänge (Farbspritzer) andererseits und drittens dann zwischen diesen Extremen vermittelnde Strukturen: kürzere und längere Klanggesten, die gelegentlich sogar motivische Deutlichkeit annehmen. Diese Strukturen treten selbstverständlich nicht, wie Yuns Werkeinführung nahelegt, im Gänsemarsch wie drei Sätze »nacheinander« auf, sondern ereignen sich kontrastreich auf engerem Raum.
In Form des Werktitels nahm die Grundidee der Symphonischen Szene dann Gestalt an in der unmittelbar folgenden Komposition, den Colloides sonores für zehn Solostreicher oder Streichorchester (1961): »Ich habe damals ganz bewußt mit dem Klang experimentiert. Bei ‘Colloides sonores’ ist das so: aus verschiedenen Richtungen sozusagen ziehen sich kleinste Klangelemente zusammen und entwickeln sich organisch, bis sie zu einem vollen Ganzen geworden sind. Dann kommt der Augenblick, in dem dieses Ganze wieder in seine Elemente zerspringt, die nach allen Seiten fliegen und dort, wo sie auf andere Elemente treffen, neue Konstellationen bilden. Diese Verbindungen sind immer wieder auflösbar. [...] Diese neue Klangstruktur hatte ich schon vorher gefunden« und »weiterentwickelt ... «
Die Idee solcher »wechselnder Klangverbindungen« entfaltet Yun in der Symphonischen Szene in vier Sätzen oder – korrekter – Formteilen, die durch Generalpausen, aber auch durch Tempo- und Metronomangaben deutlich voneinander abgesetzt sind. Als übergeordnetes Schema erweist sich die zweimalige Abfolge eines bewegten und dann unbewegten Beginns. Das Formprinzip der »wechselnden Klangverbindungen« durchdringt alle Sätze: Einzelne Elemente werden exponiert und sodann verdichtet durch Agglutinationsprozesse – Überlagerung, Massierung der Mittel sowie längere zusammenhängende Entwicklungen, die schließlich die Balance verlieren und katastrophisch auseinanderstieben, zerbersten. Diese Abbrüche werden entweder durch Instrumentalsoli aufgefangen oder aber die stete Steigerung der Mittel mündet in die Stille einer Generalpause.
Der erste Teil, Adagio (Viertel ca. 54), setzt fließend ein mit liegenden Klängen der hohen Streicher und einem lichten punktförmigen Initialimpuls von Celesta, Vibraphon und Harfe. Einzelne klangliche »Farbtupfer« treten gestisch hervor. Eine erste Kulmination (T. 15–16) beginnt mit einem Harfenglissando und endet mit abwärtsführenden Akkorden im Klavier; eine zweite Phase bezieht die Bläser ein; auch die dritte mündet in einen pointierten Tutti-Treffpunkt, dem eine Spannungspause folgt. Massiv setzen nun die Blechbläser ein. Es entstehen weitere Ausdehnungen und Überlagerungen, wobei die Solo-Violine kontrastierend heraustritt, sowie eine längere, dramatisch gesteigerte Entwicklung.
Der zweite Teil, Largo molto espressivo (Viertel ca. 38), fungiert als langsamer Satz. Auch hier findet ein Prozess zunehmender klanglicher Überlagerung und Verdichtung statt, dem die Solo-Violine (und dann auch die Solo-Oboe) besänftigend antworten.
Fast scherzoartig turbulent erscheint der dritte Teil, Andante quasi Allegro (Viertel ca. 60 bzw. Achtel ca. 120), der – nach einem klavierbegleiteten Kontrastteil – wieder auf ein massives Ende zielt, als dessen Nachklang der vierte Teil Adagio, molto espressivo (Viertel ca. 46) mit einem Violinsolo einsetzt. Von hier aus geschieht nun – erneut wie eine auskomponierte Crescendo-Gabel – die äußerste Steigerung und Massierung der Mittel. Ein temperamentvolles Solo der Schlagzeuggruppe, bei dem die Pauke dominiert, beschließt die Komposition.
Walter-Wolfgang Sparrer
Sinfonieorchester des Südwestfunks / Bruno Maderna
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 008