Antarctic Symphony (Symphony No.8)
(2000)2.picc.2.corA.2.bcl.2.dbn-4.3.3.1-timp(=Japanese temple gong/2cym).perc(4):xyl/glsp/marimba/crot/
t.bells/bell tree/v sm high wdbl/tamb/SD/2BD(sm,v.lg)/Chinese cyms/cyms/4susp.cym(v.sm,sm,med,lg)/
nipple gong/tam-t(with plastic soapdish)/tuned brandy glasses(with water)/2sm pebbles/football rattle/
biscuit tin (filled with broken glass)/3lengths builders scaffolding (sm,med,lg)-harp-cel-strings
Abbreviations (PDF)
Boosey & Hawkes
Die Antarctic Symphony ist ein Auftragswerk für das Forschungsinstitut des British Antarctic Survey [BAS], Cambridge, in Zusammenarbeit mit dem Philharmonia Orchestra und entstand sozusagen zur Feier des 50. Jahrestages des Films Scott of the Antarctic [dt. Verleihtitel: "Scotts letzte Fahrt"] herauskam. Vaughan Williams schrieb damals die Musik zum Film und verwendete sie später für seine Sinfonia Antarctica.
Es war eine Bedingung des Auftrags, dass ich persönlich in die Antarktis reisen musste, um mich aus erster Hand mit der Thematik vertraut zu machen. Ich unternahm die Reise 1997 als Gast des BAS.
Es war die Zeit der Sommersonnenwende, als ich mich von den Falkland-Inseln zur Antarktischen Halbinsel einschiffte, und je weiter wir täglich nach Süden vordrangen, desto strahlender wurde das Licht und desto länger blieb es hell. Unser Schiff, die RRS James Clark Ross, war für heikle wissenschaftliche Untersuchungen mit empfindlichen Geräten gebaut worden. Sie lief ungewöhnlich leise und frei von Erschütterungen, so dass man die tiefe Stille der vollkommen ruhigen See ohne jeden Wind genießen und sich an der Intensität des Lichts erfreuen konnte, das sich pulsierend aus dem Innern uralter grüner und blauer Eisberge zu ergießen und in gleißenden Splittern aus der endlosen Weite von Schnee und Eis aufzutauchen schien.
Gebrochen wurde die Stille, als sich das Schiff seinen Weg durch die gefrorene Meeresoberfläche rammte – das Krachen des Eises am Bug entlang war eines der aufregendsten Geräusche, das ich je gehört habe, angereichert mit einem elektrisierenden Schwirren und Knacken, das sich in der Ferne verlor, wenn sich die Sprünge im Eis vom Schiff aus meilenweit ausbreiteten.
Ein weiteres außergewöhnliches Klangerlebnis hatte ich am Rand einer schweren, aber sanften Schneelawine von den hoch aufragenden Klippen zu beiden Seiten des engen Kanals, den das Schiff passierte – der eisige Pulverschnee hüllte uns alle an Deck mit einem Wispern und Zischen ein, das paradoxerweise leiser zu sein schien als die Stille zuvor. Anschließend brachte minutenlang niemand ein Wort heraus.
Diese beiden Klänge – das Bersten des Eises und die Lawine – ließen mich an Ort und Stelle beschließen, in dieser an sich höchst unchristlichen Sinfonie einen Pfingstchoral zu verwenden mit der Assoziation des Ausgießens des Heiligen Geistes auf die Apostel. Ich wählte einen, den ich bereits einmal benutzt hatte – Dum complerentur dies pentecostes. Die neue Sinfonie lässt sich nicht direkt im Zusammenhag mit meinen Erlebnissen in der Antarktis programmatisch beschreiben – sie ist vielmehr ein abstraktes Werk, das verwandelte Klangbilder einsetzt, die sich entfernt auf diese Erlebnisse zurückführen lassen.
Ebenso wichtig für meine Überlegungen war der (nach meiner Interpretation) modifizierte Begriff der Zeit, der sich aus den neuesten Untersuchungen ergab, zum einen die kleinsten einzelligen Lebewesen betreffend, die man im Gestein unter dem Polareis entdeckt hatte, wo sie jahrhundertelang leben, und - das andere Extrem - relativ große Meerestiere, deren Langsamkeit in Stoffwechsel und Fortbewegung ebenso wie ihre lange Lebensdauer in Beziehung zu eingeschränkter Nahrungsversorgung und dem sehr kalten Wasser stehen. In einem Musikwerk von vorgegebener Dauer kann man diese zeitliche Schichtung nur andeuten, zum Beispiel durch annäherndes Aussetzen der Zeit oder die (für uns) ungewöhnliche Frequenz des unmittelbar erlebten Atems der Zeit.
Die Sinfonie ist in einem Satz angelegt. Die kurze Introduction, die auf das Bersten des Eises zurückgeht, leitet in ein Allegro mit heftigen dynamischen Kontrasten über, das für mich die Exposition darstellt. Die anschließende langsame Passage beginnt mit einer ganz einfachen Klarinettenmelodie, begleitet von Pizzicato-Celli. Der nächste schnelle Abschnitt ist eine Fortentwicklung des ersten, nach Art eines Scherzo umgearbeitet. Er endet im von mir so genannten "Schrotthaufen" – in der Antarktis trifft man stellenweise auf das Gerümpel, das frühere Forschungsreisen hinterlassen haben (heutzutage muss natürlich jeder, der in der Antarktis arbeitet, seinen Müll beseitigen); hier beziehe ich mich auf mehrere meiner neueren Werke, die ich einem eingefrorenen Schrotthaufen anvertrauen würde. Eine weitere langsame Passage intensiviert die vorangegangene langsame Passage und kristallisiert sie heraus (ich war in Gedanken ganz mit Durchsichtigkeit und innerem Licht beschäftigt). Wir begegnen dem Allegro-Material in neuen Konfigurationen wieder, was direkt auf die Beobachtung des teilweisen Schmelzens vertrauter Eisberge im Hochsommer zurückgeht, die dabei ihre Form verändern. Die kurzen, bedächtigen Schlussformeln verweisen zurück auf die Einleitung der Sinfonie – oder vielmehr auf die harmonische Essenz, so als sei das Eis geschmolzen und hätte das darunter befindliche Gestein freigelegt.
© Peter Maxwell Davies
(Übersetzung: Anne Steeb/Bernd Müller)
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Nur dreimal in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ließen sich Komponisten aufgrund ihrer persönlichen Teilnahme an polaren Expeditionen zu Werken inspirieren, die die Extreme und die Einsamkeit der Eiswüste Klang werden ließen: 1917 begleitete Gösta Nystroem Arktis-Fahrer nach Grönland und schuf aus diesen Eindrücken die zweiteilige, Roald Amundsen gewidmete Tondichtung Ishavet (Das Eismeer, 1924/25). 1990 leitete Robert Bachmann eine Nordpol-Expedition und komponierte, angeregt durch die Erfahrung der Erddrehung und elementarer Einsamkeit, seine Rotation 90° N für großes Streichorchester ohne Violinen. 1997 schließlich reiste Sir Peter Maxwell Davies zur Rothera-Forschungsstation am Südpol, um dort im Auftrag der British Arctic Survey und des Philharmonia Orchestra Eindrücke für seine neue Sinfonie zu gewinnen. Seine zwei Jahre später beendete Antarctic Symphony ist sicher das monumentalste dieser drei Werke. Sie überwältigt den Hörer und wirft ihn regelrecht auf sich selbst zurück, denn dem Komponisten ging es keineswegs nur um pittoreske Lautmalerei von riesigen Eisbergen und weiten Schneeflächen, von krachendem, klirrendem Eis, dem Gleißen der Sonne, dem Rutschen von Schneemassen oder dem Heulen des Windes - obwohl all dies Elementare natürlich auch zu hören ist. Er wollte in seiner Musik jedoch vor allem eine mystische Erfahrung innerhalb dieser wahren Apokalypse zum Ausdruck bringen, beispielsweise jene Stille, die so unermeßlich ist, daß man seinen eigenen Körper arbeiten hören kann, da jedes andere Geräusch fehlt. Oder jenen Moment, als langsam eine Schneelawine abging, mit einem so profunden Rauschen, als ob der Heilige Geist selbst sich auf die gebannten Beobachter herabsenken würde: Der Komponist beschrieb eindrücklich die zeitlose Transzendenz dieses Augenblicks, der ihn dazu inspirierte, in der Sinfonie den altkirchlichen Pfingstchoral Dies pentecostis zu verwenden.
Bei aller Innovation ist die Antarctic Symphony von Sir Peter Maxwell Davies immer noch ein Bekenntnis zur Tradition sinfonischer Musik, anknüpfend insbesondere an die Sinfonia Antartica von Ralph Vaughan Williams. Darauf deutet bereits die vergleichsweise moderate Instrumentierung - der Komponist verwendet zwar viel Extra-Schlagzeug, verzichtet aber im Gegensatz zu Vaughan-Williams auf die große Orgel ebenso wie auf die Windmaschine und die Sopran-Vokalise. Ebenso enthält die Form des einsätzigen, knapp 40-minütigen Werkes bei aller Vielfalt und Abruptheit der wechselnden Abschnitte auch Elemente traditioneller Sonatenform. Es entspricht damit immer noch dem romantischen Ideal sinfonischer Poetik beispielsweise eines Beethoven, Schumann oder Mendelssohn, die mittels der Sinfonie-Form dialektisch die Beziehung des Menschen zur Natur auszudrücken vermochten. Doch anders als im "Gewitter" in Beethovens Pastorale oder viel später in der Sinfonia Antartica von Vaughan-Williams wird in der Antarctic Symphony unserer Zeit die Natur nicht als Bedrohung des Menschen gezeigt, sondern der Mensch erweist sich nunmehr als Feind der Natur. Diese Sinfonie ist mithin zeitgemäß und zugleich wahre Endzeit-Musik. Sir Peter Maxwell Davies hat das buchstäblich am Ende des 20. Jahrhunderts (nämlich im Dezember 2000) fertiggestellte Werk nicht nur zur letzten seiner Sinfonien bestimmt; er beendete es auch mit einer düsteren Zukunftsvision: Durch menschliches Verschulden schmelzen die Polkappen ab, und der Meeresspiegel steigt so stark an, daß die Küstenregionen weltweit überflutet werden. Auch von dem kleinen Haus, das der Komponist am Ende der Orkney-Insel Sanday bewohnt, schaut schließlich allenfalls noch die Dachspitze heraus...
© Benjamin-Gunnar Cohrs (Bremen, 2003)
„... ist diese etwa 40-minütige Sinfonie voll von eindrucksvollen Klangvisionen, dramatischen Zuspitzungen, aber auch meditativ-besinnlichen Partien... Maxwell Davies entwarf klirrende Eruptionen für den Eisbruch und auch für andere, ‘gezackte’ Landschaftseindrücke, andererseits aber immer wieder neu tief berührende Passagen für die Empfindung der Stille... Und wenn ein so ausladendes, aber dennoch ohne Satzpausen durchkomponiertes Werk niemals an Spannung verliert, sondern selbst da, wo die Zeitlosigkeit zu tönen beginnt, stets dramatische Kraft offenbart, dann vermittelt sich der Eindruck, daß hier ein überlegener Klangarchitekt sein sinfonisches Konzept nicht nur eindrucksvoll verwirklicht, sondern auch eine Summe seines langen Komponistenlebens zieht. Das Orchester folgte Maxwell Davies als bewährtem Sachwalter seines Werkes einfühlsam, mit höchster Aufmerksamkeit und, wo nötig, auch mit brillanter Verve und sorgsam ausbalancierten Klangproportionen."
(Hartmut Lück, Weser-Kurier, 27.09.2003)