Concerto Grosso No.4 - Symphony No.5
(Concerto grosso Nr. 4 - Sinfonie Nr. 5) (1988)3(III=picc).3(III=corA).3(II=Ebcl,III=bcl).3(III=dbn)-4.4.4.1-perc(6):timp/3tgl/crot/flex/whip/3bongos/2tom-t/SD/BD/cyms/5susp.cym/tam-t/t.bells/glsp/xyl/vib/marimba-hp-cel-pft-2hpd-str(min: 12.12.12.10.9)
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Sikorski
„Während Gorbatschow seit 1986 in der Sowjetunion die Perestrojka vorantreibt und damit endlich liberale Entwicklungen im Kulturleben einleitet, nimmt Alfred Schnittkes internationaler Erfolg nach den westlichen Uraufführungen des Violakonzertes und des 1. Cellokonzertes weiter zu. So hatte das Violakonzert bei seiner Uraufführung 1986 in Amsterdam einen großen Eindruck hinterlassen. In der Stadt mit der großen Mahler-Tradition schätzte man Schnittkes mit Gustav Mahler verwandte Ästhetik. Schnittke wiederum bewunderte an Amsterdam die „Polyphonie“ der Stadt. So ergab es sich, dass das Concertgebouworkest Amsterdam sich entschloss, Schnittke zu seinem 100-jährigen Jubiläum im Jahre 1988 einen Kompositionsauftrag zu erteilen. Für Alfred Schnittke war der Auftrag so bedeutsam, dass er für dieses Werk den kühnen Versuch wagte, die beiden in seinem Schaffen wichtigsten orchestralen Gattungen miteinander zu vereinen: Sinfonie und Concerto grosso. So entstand eine Komposition mit dem Doppeltitel „Concerto grosso Nr. 4 – 5. Sinfonie“, die am 10. November 1988 unter der Leitung von Riccardo Chailly im Amsterdamer Concertgebouw uraufgeführte wurde.
Natürlich war Schnittke von vornherein klar, dass dieses Werk einen deutlichen Mahler-Bezug haben müsse. Da er sich in jener Zeit mit dem Scherzo-Fragment des frühen Klavierquartetts von Gustav Mahler auseinandersetzte und dieses für das Kammermusikfestival Kuhmo paraphrasierend auskomponiert hatte, lag nahe, dass diese Scherzo-Paraphrase auch in seinem Amsterdamer Auftragswerk eine gewisse Rolle spielen würde. So erscheint diese dort in orchestrierter Form als 2. Satz. Das viersätzige Werk beginnt als Concerto grosso und endet als Sinfonie.
Der 1. Satz (Allegro) ist der Concerto-grosso-Satz, in dem sich Schnittke jedoch weniger barockisierend verhält als in seinen ersten drei Concerti grossi. Die vor dem Orchester sitzenden Concertino-Instrumente Violine, Oboe und Cembalo haben es mit einer starken orchestralen Übermacht zu tun, die sie auf dem Höhepunkt ganz zu absorbieren droht. Wettstreit gerät zu einseitiger Dominanz, die Concerto-grosso-Idee scheitert.
Im 2. Satz (Allegretto) hören wir die orchestrierte Fassung eines gespenstischen Vorgangs: Schnittke nimmt die wenigen von Mahlers Klavierquartett überlieferten Scherzo-Takte und komponiert diese weiter. In dreimalig gesteigerten Anläufen versucht er vergeblich, „sich an etwas zu erinnern, das niemals zustande kam“. Dann jedoch macht er daraus einen Prozess, der zeitlich rückwärts statt vorwärts schreitet: Am Ende des Satzes lässt er das Scherzo-Fragment von einem exponiert aufgestellten Soloquartett wörtlich zitieren. Während die Barockmusik im 1. Satz vom Orchester geschluckt wurde, wird hier Mahlers Musik am Ende gleichsam ans Ufer geschwemmt.
Im 3. Satz (Lento) kommt endlich der Sinfoniker Schnittke zu Wort, der versucht, alles Widersprüchliche zu vereinen und ihm einen Sinn zu geben. Der Satz beginnt mit düsteren Dies-irae-Andeutungen und steigt langsam empor zu einem Fortissimo-Höhepunkt in Gestalt eines Akkords, der alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter umfasst.
Wenig später fängt ein groß angelegtes Allegro mit starken Anklängen an die Sonatenhauptsatzform an. Die dramatische Entwicklung beschwört wiederum Mahler, aber wohl auch Berg, Dallapiccola, Hartmann oder Penderecki. Am Ende bricht die Musik genau da ab, wo eigentlich eine Art Reprise zu erwarten gewesen wäre. Der sinfonische Ansatz ist misslungen.
Stattdessen kommt es zu einem 4. Satz (Lento), der, obwohl ständig zwischen geradem und ungeradem Takt changierend, eindeutig Trauermarsch-Charakter aufweist, in dessen Verlauf Echos der vorausgegangenen Musik zu hören sind, die aber keine tröstende Wirkung haben. Der Satz schließt mit einer verzweifelt sich aufbäumenden Fortissimo-Gebärde, die in einen kurzen, verhauchenden Schluss mündet.“ (Hans-Ulrich Duffek)