Bote & Bock
In Eclipsehallt die Tampa-Affäre nach: 2001 hatte der norwegische Frachter "Tampa" Hunderte von Flüchtlingen vor dem Ertrinken im Indischen Ozean gerettet, doch die australische Regierung verweigerte ihnen die Aufnahme. Die existenzielle Verzweiflung der Boat People, die sie zum letzten Ausweg einer lebensgefährlichen Flucht zwingt, ist 2015 immer noch von brennender Aktualität. Auf ihre Not bezieht sich der metaphorische Titel "Eclipse" (Verfinsterung):
Wenn eine Sonnenfinsternis den rasiermesserscharfen Wendepunkt zwischen Licht und Dunkel darstellt, dann sind diese Erfahrungen der Wendepunkt zwischen Leben und Tod, zwischen Zukunft und Vergangenheit,
so Dean.
Die drei Sektionen des Stücks nutzen das ganze Klangspektrum der Streichinstrumente: In Slow and spacious tastet sich das Cello mit Quintsprüngen durch die obertonreiche Flageolett-Textur der drei hohen Streicher. Die zunehmende Aggressivität zersplittert in einem Pizzicato-Feld. Der zweite Abschnitt reflektiert in nervöser Bewegung, huschenden Vierteltönen und unablässiger rhythmischer Energie den Impuls zur "unwahrscheinlichen Flucht" – ein Zitat aus der fiktiven politischen Allegorie The Tyrant’s Novel des australischen Schriftstellers Tom Keneally, die Dean inspiriert hat. Im Epilog schimmert eine vage Hoffnung auf: Das Material wird zu einem sanften, fließenden Ausklang umgestaltet und erlischt in einem nahezu statischen, ruhigen Klangfeld.
(Dr. Kerstin Schüssler-Bach, 2015)
„Eclipse für Streichquartett lotete tief in Seelenlandschaften. Der permanent von den Interpreten geforderte Wille zum emotionalen Ausdruck erfüllte abstrakt montierte Klangereignisse, die der Komponist in einer Kurve über drei Sätze führte. Anspannung, helle Aufregung, knisternde Nervosität, kalte Ungewißheit, schwindelerregende Haltlosigkeit und wehrloses Hinsinken – all dies waren Gemütszustände, die in dieser um die gesamte Breite moderner Klangfeinheiten stark bereicherten Musik ruhen. Dank eines programmatischen Unterbaus mit Flüchtlingsdrama und Boatpeople nahegebracht, aber auch ohne Interpretationshilfe – verständlich durch das sehr engagierte Auryn Quartett und die wütende wie betroffene Tonsprache des Komponisten." (Olaf Weiden, Kölnische Rundschau, 04.12.2003)
Doric String Quartet
Chandos CHAN 10873