Bote & Bock
Rencontre, im Frühjahr 1986 für die Sommerlichen Musiktage im wendländischen Hitzacker/Elbe komponiert, ist Eduard Brunner, Marion Hofmann und Walter Grimmer, den Interpreten der Uraufführung, »in Freundschaft« zugeeignet. Der Titel meint über Immanent-Musikalisches hinaus die Begegnung der Widmungsträger beim Isang-Yun-Musikfest, das ein Jahr zuvor in Nord-Korea stattfand. Die strömenden Verläufe sind in hohem Maß den Eigenarten der Instrumente verpflichtet. Fast als Duo mit obligater Harfe (alternativ kann der Harfenpart auch auf dem Klavier gespielt werden) konzipiert, ist der Grundgestus des Celloparts eher gesanglich, während die Stimme der Klarinette zum Aufschrei tendiert. Eine vermittelnde Position nimmt die Harfe ein. Der motivische Reichtum weckt generell vage melodische Assoziationen, ohne daß diese jedoch manifest würden. Dabei scheint der Komponist geradezu auf eine auf Verunsicherung des Hörers angelegte organisierte Haltlosigkeit zu zielen, die reale Bedrohungen der Gegenwart reflektiert. Rencontre ist dreiteilig angelegt mit der Abfolge schnell (5/4-Takt) – langsam (6/4-Takt) – schnell (5/4-Takt); in den Schluss ist eine Reminiszenz an den Mittelteil eingesenkt, ein Steigerungsmittel, das auch in der koreanischen Volksmusik gebräuchlich ist.
Im taoistischen Denken unterscheidet man zwischen Verwandeln, der Veränderung zu einem andern hin, und Umwandeln eines der Idee nach Immergleichen. Rencontre und auch Yuns II. Symphonie (1984) folgen dem Prinzip des Umwandelns; sie können nahezu wie ein stehender, in sich fluktuierend-bewegter Affekt wahrgenommen werden.
Walter-Wolfgang Sparrer