1.0.2.ssax.tsax.1-1.1.1.0-perc(2)-harp-pft-strings(2.0.1.1.1 or 2.0.2.3.1)
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Als zehnjähriger Junge wurde ich stark von den 1989er-Demonstrationen in Prag geprägt, bei denen Parolen von Massen skandiert wurden. Das Sprechen in der Gruppe hat mich fasziniert, denn es kann sich in ganz verschiedenen Abstufungen zwischen Sprechstimme und Gesang bewegen. In Sinuous Voices entschloss ich mich, die Worte in instrumentales Spiel zu übersetzen, in dem die Instrumente ›flüstern‹, ›schreien‹, ›artikulieren‹, und in dem ihre Stimme zittert. Ich habe der Welt der intimen Stimme, des Gebets, des Rituals, eine extravertierte Welt entgegengesetzt, in der eine Masse außer Kontrolle gerät.
Im ersten Abschnitt von Sinuous Voices habe ich das ›Agnus Dei‹, das eine Gruppe alter Frauen in einer staubigen Kirche eines entlegenen tschechischen Dorfs im Chor rezitierte, für Streichinstrumente umgeschrieben und deren Pizzicatospiel mit extensivem Vibrato kombiniert. Hier erzeugen die Holzbläser den Hall der Kirche; zunächst tun sie dies diskret, schließlich verschlingen sie quasi die zerbrechlichen Stimmen. Das Phänomen des Vibrato, das Zittern der Stimme, ›kontaminiert‹ gleichsam das gesamte Klangbild des Ensembles und den Hall im Raum.
Für den nächsten Abschnitt wählte ich eine intime Aufnahme aus Neukaledonien, die immerfort wiederholend und ohne Unterbrechung deklamiert wird wie auf einem Atem, mit der heiseren, brüchigen Stimme einer alten Frau. Ich übertrug ihren Gesang auf die Bassflöte und die anderen Blasinstrumente, behielt dabei aber alle Details bei. Die Geräuschwellen des Atmens entsprechen dem hörbaren Einatmen dieser Frau auf der Aufnahme und verstärken es wie unter einem Vergrößerungsglas. Dieses Wiegenlied wird wie das Gebet im vorangehenden Teil mit einem Strom eindringlicher Rhythmen durchsetzt, mit den vernichtenden Kräften einer Menschenmenge, die in den folgenden Teilen die Kontrolle über sich verliert.
Ondrej Adámek