EINGEDUNKELT
(2022)chamber choir(SATB); 2.2.3(III=bcl).3(III=dbn)-3.3.3.1-timp.perc(4):bongos/SD/BD/3susp.cym/Javanese.gongs/xyl; ant.cym/3bongos/5tom-t/BD/3susp.cym/Javanese.gongs; 2congas/ant.cym/SD/BD/3susp.cym/Javenes.gongs; Javanese.gongs/tam-t(lg)/vib-harp-pft-strings(10.10.8.6.6)
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Sikorski
„Mein zweites Violinkonzert entstand während des ganzen Jahres 2021 in einer Zeit pandemiebedingter Einschränkungen. EINGEDUNKELT sind vier ineinandergreifende, entgrenzende Klangräume von Licht und Schatten, Nähe und Ferne. Die Solovioline ist die Vox humana inmitten eines im Orchester platzierten Vokalensembles. EINGEDUNKELT erscheint wie eine Rückseite meines in den neunziger Jahren komponierten ersten Violinkonzerts …INSELN, RANDLOS. In der Mitte berühren sich beide Werke in einer erinnernden Annäherung an Paul Celans Gedicht ‚Nach dem Lichtverzicht‘. Zuletzt ein kadenzieller Ausbruch der Solovioline, der in ein großes, abklingendes Läuten mündet.“ (Peter Ruzicka)
Unter den großbesetzten Werken der letzten Dekaden, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den drei Bühnenwerken entstanden sind, nimmt EINGEDUNKELT für Violine, Kammerchor und Orchester eine Sonderstellung ein. In der Partitur fließen besonders viele der Markenzeichen zusammen, die Peter Ruzickas Oeuvre zu einem so eigenständigen, in sich stimmigen und zugleich stets sich weiterentwickelnden Korpus machen. Das Stück entstand „während des ganzen Jahres 2021 in einer Zeit pandemiebedingter Einschränkungen.“ (P. R.). Für den vielbeschäftigten Musikmanager und Dirigenten, dessen Zeitfenster für das Komponieren stets eng bemessen waren, eine ungewohnte Situation. Man spürt in der Musik die kontemplative Rückschau, aber auch die Wut und Verzweiflung des Ausgeliefertseins.
Retrospektiver Anknüpfungspunkt für die Werkgestalt ist Ruzickas erstes Violinkonzert …INSELN RANDLOS… (1994/95). Für Ruzicka erscheint das neue Werk wie die „Rückseite“ des früheren. Klingt hier etwas, das 26 Jahre zuvor schon schlummerte, aber noch im Dunkeln lag? Allemal wirkt die Musik freier, gelöst hat sich aber nichts. Wieder ist es die raffinierte Verschränkung verschiedener instrumentaler Klangräume, die EINGEDUNKELT zu einer Klangreise machen, deren Ziel immer wieder entgleitet und in der das Subjekt, klanglich verkörpert durch die Solovioline, beständig seine Stimme erhebt. Mit mehr „Sprache“ als die SängerInnen des Chores, deren Hauptfunktion es ist, das Klangspektrum des Orchesters zu erweitern. Und mit mehr Mut zum Melos als früher. Ein Melos gleichwohl, dem die Luft zum Atmen immer wieder genommen wird: Aus der Tiefe aufsteigend und sich in grelle Höhen arbeitend, gerät es in die Fänge anderer Gewalten, reißt ab, wehrt sich, verstummt, um es im nächsten Anlauf neu zu versuchen. Diese instrumentale Rede kulminiert in einer fulminanten Kadenz: In einer langen, langsamen Passage aus Proportionaltakten, in der die Solostimme vor dem Hintergrund dunkel drohender Klangflächen von Chor und Orchester immer wieder die dynamischen Randbezirke ihres Instruments auslotet und noch weiter zu wollen scheint. Aber sie bleibt im Wortsinn eingedunkelt. In der Mitte des Konzerts steht, wie ein Anker in die eigene Vergangenheit, ein wörtliches Zitat aus …INSELN RANDLOS… Es ist der Anfang der einzigen Passage, in der der Chor in herkömmlicher Weise einen Text singt: Zeilen aus „Lichtverzicht“, eines von Ruzickas Lieblingsgedichten Paul Celans, das er ein Jahr nach dem Violinkonzert auch für Sopran und Klavier vertont hat: „Der vom Botengang hallende Tag, die blühselige Botschaft schriller und schriller, findet zum blutenden Ohr.
(Uwe Sommer Sorgente)