"Inter lacrimas et luctum" - A Cello Concerto
("Inter lacrimas et luctum" - Ein Cellokonzert) (2019)1.1.1.1-1.1.1.0-perc(2)-pft-str(1.1.1.2.1)
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Sikorski
„Fünf Klavierkonzerte und ein Violinkonzert hat Ludwig van Beethoven hinterlassen – aber kein Violoncellokonzert. Warum? Immerhin darf er als Begründer der klassischen Violoncellosonate gelten. Im Roman ‚Selbstbildnis mit russischem Klavier’ ließ Wolf Wondratschek 2018 seinen Protagonisten Suvorin die Vermutung äußern, Beethoven habe aus Schüchternheit kein Cellokonzert geschrieben. Das Cello stand ihm zu nahe, war für den Ausdruck zu intimer Gedanken und Empfindungen zuständig, so dass Beethoven dies alles nicht an die große Glocke hängen wollte: ‚Wahre Liebe war Verzicht. Also kam so etwas Monumentales wie ein Cellokonzert nicht in Frage’.
Nun trägt das Widmungsexemplar von Beethovens Cellosonate op. 69 an den Baron Ignaz von Gleichenstein das Motto ‚Inter lacrimas et luctum’ – ‚Unter Tränen und Trauer’. Das Motto ist rätselhaft. Bezieht es sich auf den Beschuss Wiens durch Napoleons Kanonen im Jahr 1809? Oder auf Beethovens persönliche Situation? Seit Jahren warb er um die Frau, die seine Lebensliebe war: die verwitwete Gräfin Josephine von Deym, geborene von Brunswick. Beethoven träumte von einer Ehe mit ihr; sie hielt ihn auf Distanz. Während er die Sonate op. 69 schrieb, verdächtigte er sie, eine Affäre mit einem anderen Mann zu unterhalten, um sich dem vertrauten Umgang mit ihm zu entziehen.
Ich bereite gerade die Uraufführung meiner dritten Oper ‚Minona’ vor. Sie beschäftigt sich mit Minona von Stackelberg, der 1813 geborenen Tochter Josephines, die 1811 den baltendeutschen Baron Christoph von Stackelberg geheiratet hatte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war Minona die Tochter Beethovens, denn sie kam exakt neun Monate nach Abfassung des berühmten Briefes ‚An die Unsterbliche Geliebte’ im Juli 1812 zur Welt. Und Josephine gilt in der Forschung als wahrscheinlichste Adressatin dieses Briefes.
Mitten in meiner Beschäftigung mit einem für Beethoven zentralen Lebenskonflikt, nämlich dem Scheitern seines Traums von Ehe und Familie, und nach einer Reihe von monumentalen Orchesterwerken für Paavo Järvi und das Estonian Festival Orchester wie für die Göteborger Symphoniker und Frank Strobel, habe ich gerade eine Cellosonate für David Geringas fertig gestellt. Diese Cellosonate versucht in Form und gedanklicher Arbeit eine gewisse Monumentalität zu erreichen, ohne mit virtuosen Effekten zu kalkulieren. Mit ‚Inter lacrimas et luctum’ geht es mir um das genau Entgegengesetzte: Bei größerer Besetzung und immensen Ansprüchen an virtuose Spieltechniken soll es um eine eigentlich intime, verletzliche Gedanken- und Gefühlswelt gehen. Jean-Guihen Quyeras vereinigt für mich in seinem Spiel genau das: Intimität und Virtuosität. Und wenn dieses Festival ‚Searching for Ludwig’ heißt, dann sucht mein Stück auch nach diesem verletzlichen Beethoven, der sein Lebensglück ebenso wenig gefunden hatte, wie er nie ein Cellokonzert schrieb.“