Growth I
(2020)Bote & Bock
Man sagt, Oliver Messiaen und Jean Sibelius waren Synästheten, die beim Musikhören Farben sahen. Ich sehe geometrische, amorphe, bewegte, wabernde Formen, und sogar wenn ich bildende Kunst betrachte, höre ich nicht selten auch Klänge. In meiner Werkreihe Growth stelle ich mir Musik vor, die man sieht, riecht, fühlt oder ertastet. Grundregel für Growth ist, dass jedes Werk aus drei Sätzen besteht, und für jeden Satz dient ein vorgefundenes Klangobjekt als Vorlage – eine Art Mutterpilz –, aus der der rhythmische, harmonische oder strukturelle Unterbau des Satzes sprießt. Das Klangobjekt kann eine historische Musikaufnahme, ein Field Recording oder ein Interview sein und wird teilweise hörbar oder auch gar nicht.
Die drei Inspirationsquellen für das Violin Concerto "Growth I" (2020) sind in den Satzbezeichnungen erkennbar: Im ersten Satz A dehydrated, pulverized, and then reconstituted (with lumps) 1903 recording of Joseph Joachim playing Brahms's Hungarian Dance No. 1; im zweiten Isaac Stern speaking in 1999 about the founding of the National Endowment of Arts seen through a thick layer of nostalgia's sweet molasses; und im dritten The Hupfeld Phonoliszt-Violina playing Chopin’s Nocturne Op. 9, No. 2, frozen, broken in shards, and randomly reassembled.
Wenn beim Violin Concerto das Gewicht der Tradition maßgeblich war für die Auswahl der Vorlagen, waren es beim Snare Drum Concerto "Growth II" (2021) die außereuropäische Herkunft und die militärische Rolle des Instruments. Die drei Sätze heißen: Wilted recitatives revitalized – eine Anspielung an die unterentwickelten Parlando-Qualitäten der kleinen Tromme–l; A Kotsuzumi and Kagkegoe sandwich dipped in cultural appropriation; und John Lennon thunderclouds with Yoko Ono lighting bolts, in dem die Ono-Chord-Message von Yoko Ono als Koordinationsspur für die Solopartie, die nur sie hören kann, dient: „I love you“.
Mike Svoboda, im Februar 2022