Poème pour violon et orchestre
- Version for violin and string orchestra (1954,arr.2019)Bote & Bock
Zu den wenigen Werken, die vor den 1960er Jahren entstanden, als Laks noch einmal an seine Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen konnte, gehört das Poème für Violine und Orchester von 1954. Mit diesem Werk, das ohne Auftrag entstand und das auch keine Aufführung zu Lebzeiten des Komponisten erleben sollte, stellt sich Laks in die von Ysaye begründete Tradition des einsätzigen „Tongedichtes“ für ein oder mehrere solistische Streichinstrumente und Orchester. Intimer im Ausdruck und nicht an die formalen Konventionen des mehrsätzigen Instrumentalkonzerts gebunden, sieht sich Virtuosität ganz in den Dienst der poetischen Aussage gestellt. Auf engem Raum wird ein ganzer Kosmos an Zuständen durchlaufen von lyrischer Beseeltheit zu trotziger Auflehnung, von tänzerischer Anmut zu milder Verklärtheit. Es scheint, als ob sich Laks in dieser ersten groß angelegten Partitur, die er nach dem Krieg in Angriff nahm, seines kompositorischen Handwerks in all seinen Facetten vergewissern wollte. Über einem delikaten Klangteppich erhebt die Solovioline ihren Gesang, der sich, von einer einfachen harmonischen Pendelbewegung grundiert, immer weiter ausschwingt und im mehrfachen Anlauf in eine Kadenz mündet, die uns in ihrer orchestralen Opulenz in die Klangwelt Szymanowskis zu entführen scheint. Ein bewegter neuer Abschnitt wird durch eine aufsteigende Figur in den tiefen Streichern initiiert, die durch markante Akkordsequenzen beantwortet wird. Nach einer dramatischen Steigerung finden wir in die meditative Ruhe des Anfangs zurück. Im folgenden Allegro moderato ma con fuoco entpuppt sich die aufsteigende Basslinie mit ihrer gegenläufigen Antwort als Kontrasubjekt (Gegenthema) der Gesangslinie des Anfangs, die sich nun in einem komplexen kontrapunktischen Geflecht behaupten muss. Laks legt diesen zentralen mittleren Abschnitt als eine Synthese von Fuge und Durchführung an, in deren Verlauf sich die thematische Verarbeitung zunehmend auf das barockisierende Gegenthema beschränkt. Der folgende scherzoartige Abschnitt geht fließend in ein ravel-eskes Tempo di Mazurca über, das wiederum in eine vollkommen neue Mutation des Gegenthemas mündet: das charakteristische, die vorherigen Abschnitte thematisch dominierende Vierton-Motiv – zwei chromatische Halbtöne gefolgt von einer fallenden großen Terz – wird, durch einen Auftakt erweitert, zum Thema einer marcia funebre, eines Trauermarsches. Das Werk endet zyklisch mit der Rückkehr in die wiegende Klangpracht des initialen Lento assai. Die poetische Idee hinter der „Reise“ dieses musikalischen Materials ist offensichtlich. Laks schreibt sich mit diesem Werk in die polnische Tradition symphonischer Dichtungen und Sinfonien ein, deren Programm das tragische Schicksal der polnischen Nation reflektiert, die während der Besatzung 1939–1945 die grausamste Prüfung ihrer Geschichte erleben musste.
Frank Harders-Wuthenow
Ewelina Nowicka, violin / Amadeus Chamber Orchestra / Anna Duczmal-Mróz
cpo 555 523-2