Violin Concerto No.2 'Scherben der Stille'
(Shards of Silence) (2021)3(II,III=picc).2.3(II=Ebcl,III=bcl).2-4.3.4.1-timp.perc(4):xyl/crots/bmarimba/plate.bell/tissue.paper/3susp.cyms(sm,med,lg).3tgl(sm,med, lg)/
2snare.dr(med,lg)/2sandpaper(fine,med)/sandbox/flex/tamb/maracas/splash.cym;glsp/t.bells/crots/plate.bells/bongo/2sandpaper(fine,med)/
splash.cym/tgl(sm)/sandbox/3snare.dr(sm,med,lg)/maracas/susp.cym(lg);vib(shared with Perc 4)/t.bells/pitched.gongs/4tom-t(sm,med,lg,v.lg)/
2susp.cyms(sm,lg)/2tam-t(sm,lg)/guiro/tamb/BD/tissue.paper;vib(shared with Perc 3)/t.bells/pitched.gongs/crots/cencerros/plate.bell/4tam-t
(sm,med,lg,v.lg)/BD/guiro/snare.dr(lg)/3susp.cyms(sm, med,lg)/tom-t(sm)/mark.tree-harp-pft(=cel)-strings
Abbreviations (PDF)
Boosey & Hawkes
Mit meinem Violinkonzert Nr. 2, das den Titel „Scherben der Stille“ trägt, habe ich mit meinem Grundsatz gebrochen, pro Instrument nur ein Solokonzert zu schreiben. Angesichts der Größe des symphonischen Repertoires stehen zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten immer vor einer Herausforderung, wenn sie für ein Genre etwas schreiben wollen, das neu und doch zugleich idiomatisch für die aus dem 19. Jahrhundert stammende geniale Erfindung namens Symphonieorchester ist. Außerdem möchte ich für viele weitere Instrumente, Ensembles und Konstellationen Werke komponieren, und für jedes neues Projekt brauche ich viel Zeit zum Recherchieren. Um es mit einem etwas weit hergeholten Vergleich zu sagen: Glenn Gould hat einmal geäußert, dass er ein Werk nur einmal aufnimmt, dann aber mit den Goldberg-Variationen eine Ausnahme gemacht. Denn er hat sie bei seiner ersten und seiner letzten Aufnahme eingespielt – die Versionen sind völlig unterschiedlich, aber beide gleich genial, was faszinierend ist.
Ich wollte mit meinem „Grundsatz“ brechen, weil ich mit Leonidas Kavakos einen einzigartigen Musiker und Künstler kennengelernt habe, durch den ich auf neue Ideen kam, wie sich die Herausforderungen des Genres Violinkonzert bewältigen lassen. Daher unterscheidet sich dieses Konzert sehr von meinem ersten Violinkonzert, das ich vor zwanzig Jahren geschrieben habe. In ihm spiegeln sich darüber hinaus die vielfältigen neuen Erfahrungen wider, die ich seitdem mit der Violine gemacht habe, insbesondere und zuletzt mit „Gran Cadenza“, einem Duo für zwei Violinen, das von Anne-Sophie Mutter in Auftrag gegeben und für sie geschrieben wurde. Nichtsdestotrotz ist das zweite Konzert ganz anders als all meine anderen Werke, in denen die Violine als Soloinstrument oder als Teil eines Ensembles zum Einsatz kommt.
Mein Violinkonzert Nr. 2 ist ein subjektives Portrait des musikalischen Könnens von Leonidas Kavakos und ein Dialog mit diesem Musiker, der vor Intensität glüht und zugleich makellos und absolut fokussiert spielt.
Es besteht aus einem einzigen Satz: Der Part der Solovioline bildet das Fundament des gesamten Werks, in dem sämtliche Aktionen und Impulse des Orchesters vom Solisten ausgelöst werden. Außerdem enthält es eine auskomponierte und sehr virtuose Solokadenz.
Die Musik ist sehr kontrastreich: Das musikalische Gewebe entsteht aus absoluter Stille heraus, wird aber – daher der Titel des Werks – übergangslos harten Kanten, klanglichen Scherben und prägnanten Ausbrüchen gegenübergestellt, aus denen sich neue Formen entwickeln.
Den kreativen Kern des Stücks bildet eine kleine motivische Zelle aus fünf Tönen (bzw. zwei Tönen, die mit drei natürlichen Obertönen ausgeschmückt werden), die rasch zu einer Linie, einer Phrase wird und in verschiedenen Formen und Gestalten im gesamten Stück wiederkehrt. Das Orchester gesellt sich ganz unauffällig zum Solisten und beginnt mit einem fast unhörbaren Rauschen am Anfang. Zusammen mit der Solovioline entwickelt es feine, schillernde Klanglandschaften und bewegt sich zwischen Entstehen und Vergehen. Diese minimalen Bewegungen bilden bereits die Grundlage für viele der nachfolgenden Entwicklungen. Doch bald darauf erklingen im Orchester kantigere Strukturen und wird diese motivische Protozelle zu einer Vielfalt an Formen, die manchmal an ein empfindsames Lied erinnern, dann zu einem ritualartigen, wiederholten Pochen und gegen Ende des Stücks zu schreiartigen „Schlägen“ werden. Diese Veränderungen erfolgen mitunter in flüssigeren Übergängen und nehmen häufig unerwartete Wendungen oder bilden sogar harte Gegensätze.
Strukturell besteht das Violinkonzert Nr. 2 aus verschiedenen Abschnitten, die nahtlos ineinander übergehen: die große Form des Werks ähnelt einem Labyrinth.
© Unsuk Chin, 2021 (Übersetzung: Konstanze Höhn)