Goldberg-Variationen
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Anton J. Benjamin / Simrock
Für seine Bearbeitung der Goldberg-Variationen wählte Heribert Breuer eine Besetzung, die sich in zwei Trios (Streich- und Bläser-Trio, optional: -Quartette) aufteilt. Ein Harfenpart schlägt eine verbindende Brücke zwischen beiden. Wie bereits in Breuers Fassung der Kunst der Fuge erfolgreich ausprobiert, waren auch hier Durchhörbarkeit, Transparenz und Farbigkeit oberstes Ziel. Optional kann die Aufführung durch Texteinschübe des humanistischen Philosophen Michel de Montaigne ergänzt werden. Boosey & Hawkes
Johann Sebastian Bach hat in seinem letzten Lebensjahrzehnt die Clavier Übung, bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Veränderungen, komponiert und sie im Herbst 1741 drucken lassen. Bachs Biograph Forkel berichtet, der Anlass für diese Komposition sei der Wunsch des Grafen Keyserling gewesen, man solle ihm während seiner schlaflosen Nächte Musik vorspielen. Bachs Schüler Johann T. Goldberg habe diese diese Aufgabe am Clavicimbel mit 2 Manualen übernommen und Bach sei entlohnt worden mit einem goldenen Becher, welcher mit 100 Louisdor angefüllt war. Allein ihr Kunstwert ist dennoch, wenn das Geschenk auch tausendmal größer gewesen wäre, damit noch nicht bezahlt, so Nikolaus Forkel. Dieser Einschätzung folge ich gerne, darf aber mit einiger Berechtigung die Anekdote über den schlaflosen Grafen bezweifeln. Wahrscheinlich war die Komposition als vierter und abschließender Teil der Clavierübungen gedacht.
Vierzig Jahre nach meiner Kammermusikversion der Kunst der Fuge für vier Quartette und Orgel habe ich nun auch das Schwesterwerk in ähnlicher Weise bearbeitet. Für die Goldberg-Variationen habe ich eine Septett-Besetzung gewählt, die sich in zwei Trios (Streich- und Bläser-Trio) aufteilt, in deren Mitte eine Harfe thront. Der Harfenpart verhält sich wie ein Primus inter pares und schlägt eine verbindende Brücke zwischen beiden Trios.
Wie bereits in der Kunst der Fuge erfolgreich ausprobiert, waren auch hier Durchhörbarkeit, Transparenz und Farbigkeit oberstes Ziel meiner Arbeit.
Im Verlauf des Variationszyklus wird die Einteilung in Bläsertrio hier und Streichtrio dort immer öfter zugunsten von Mischbesetzungen unterbrochen. Auch ergeben sich neue Duo-Konstellationen, wie etwa Flöte und Harfe in der Variation 13. An manchen Stellen habe ich als klangliche Bereicherung des Tutti-Satzes behutsam neue Stimmen hinzu komponiert, um Bachs Bestrebung nach Gemüths-Ergetzung mehr Ausdruck zu verleihen. Auch verschiedenartige Spieltechniken (pizzicato, con sordino), Artikulationen und Phrasierungen wurden je nach Charakter der einzelnen Variationen einbezogen.
Ich habe meine Zweifel, ob ein "normaler" Konzertbesucher in unserer auf schnelllebigen Eventkonsum ausgerichteten Gegenwart genügend Muße und Aufmerksamkeit aufbringt, diese 30 Variationen von Anfang bis Ende in sich aufzunehmen. Absolute Ausnahme-Interpreten wie etwa Glenn Gould vermochten mit ihrer Interpretation auf dem modernen Konzertflügel die Höher in ihren Bann zu ziehen – aber wo gibt es die heute?
Auf Grund dieser Überlegungen wollte ich der Musik einen literarischen Kontrapunkt gegenüber stellen. Bachs geniale architektonische Aufteilung hat mich letztlich dazu inspiriert. Er gliedert den Variationszyklus in 10 dreisätzige Untergruppen, die jeweils mit einem strengen Kanon abschließen. Die Kanons sind ihrerseits als Steigerung angelegt: Die Einsatzfolge der Stimmabstände werden jeweils um eine Stufe erweitert und vergrößern sich kontinuierlich von der 1. bis zur. 9. Stufe.
Der Vorgabe Bachs entsprechend habe ich diese Einschnitte mit einem Texteinschub ergänzt, um dem Zuhörer auf einer anderen Ebene eine Entspannung zu ermöglichen. Auch hier sollte ein roter Faden – analog zu den kanonischen Sätzen – gefunden werden. Welche Literatur kann man aber einem solchen Werk gegenüberstellen? Sie sollte nicht ebenso komplex wie die Musik sein, aber auch nicht auf einem tieferen Niveau angesiedelt sein.
Nach vielen Erwägungen und Verwerfungen habe ich mich bei der Uraufführung am 20.9.2015 für Texte aus dem Hohenlied Salomos in der Übertragung von Manfred Hausmann entschieden. Gänzlich überzeugt hat mich diese Kombination mit lyrischen Texten dann in der Praxis nicht. Bei der Suche nach einer geeigneten Prosa stieß ich auf die Montaigne-Essays. Aus diesen habe ich mit großer Begeisterung Abschnitte zu unterschiedlichen Themen ausgewählt, um den heutigen Zuhörer mit derselben Intention zu zugewinnen, die Bachs Schaffen unverrückbares Motto durchzieht: "Denen Liebhabern zur Gemüths ergoetzung verfertiget".
Heribert Breuer
Ulrich Noethen, recitation / Goldberg-Septett / Heribert Breuer, cond
Sony Classical 19075851642