Konzert für Trompete und Orchester
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Bote & Bock
Oliver Knussen, der mittlerweile verstorbene Komponist und Dirigent, der sich sehr für zeitgenössische Musik einsetze, sprach lebenden Komponisten wie Copland, Britten und Schostakowitsch einst mit folgenden Worten seine tiefe Bewunderung aus: Komponisten, „die von ihren Kollegen gepriesen und vom Publikum geliebt werden und starke Persönlichkeiten sind, die für einen intelligenten Mainstream stehen. Nicht für einen Mainstream, bei dem das Publikum von oben herab behandelt wird.“ Wäre Knussen noch unter uns, würde er für Detlev Glanert sicherlich ebensolche Worte finden. Als einer der weltweit erfolgreichsten Opernkomponisten schreibt Glanert Musik von unmittelbarem rhetorischem Schwung und voller Ehrlichkeit. Er ist Schüler von Hans Werner Henze, für den Musik „ein Mittel der Kommunikation und des Verständnisses “ war, und nähert sich dem Musikdrama als Instrument, mit dem die grundlegendsten Facetten des menschlichen Daseins untersucht werden. Dies gilt in gleichem Maße auch für seine symphonischen und Instrumentalwerke, und für Glanert hat Musik ohne Text immer mit Metaphern der Bühnengestaltung und zwischenmenschlichen Konflikten zu tun: „Ich sehe Soloinstrumente und deren Gesten, Motive und Themen als Persönlichkeiten, als künstliche Personen in einem unsichtbaren Drama. In meiner Musik geht es um die Schicksale dieser Persönlichkeiten.“
Bei Glanerts neuem Konzert für Trompete und Orchester, das er für Thomas Rolfs, den Solotrompeter des Boston Symphony Orchestra geschrieben hat, kann man sich mit gutem Grund auf Knussen berufen: Glanert hatte letzten Sommer gerade mit der Arbeit an diesem Konzert begonnen, als er von Knussens Tod erfuhr. Von vielen Weggefährten für seine Großzügigkeit und seinen musikalischen Intellekt geliebt, war Knussen ein guter Freund Glanerts, dessen Werke er gern dirigierte, – ein echtes Vorbild und einer seiner „persönlichen Helden". Außerdem waren beide eng mit Tanglewood verbunden. Glanert war 1986 Composition Fellow beim Tanglewood Music Center – im selben Jahr, in dem Knussen dort Leiter des Bereichs für zeitgenössische Musik wurde. Glanert zufolge zählte die dortige Arbeit mit Knussen zu den prägendsten Erfahrungen seiner Ausbildung, da er von ihm die Liebe zum Detail lernte.
Glanert war sich zunächst nicht sicher, welche Form das Konzert annehmen würde, doch mit der Nachricht von Knussens Tod war ihm klar, dass es „von ihm“ handeln müsse. Dem fügt er allerdings hinzu, dies bedeute nicht, dass der Solist Knussen darstelle – zumindest nicht die ganze Zeit und direkt. An manchen Stellen übernimmt die Trompete laut Glanert die „Knussen-Rolle“, gibt an anderen Stellen aber eher einen Kommentar ab oder liefert Erinnerungen. Die Verbindung zwischen der Person des Solisten und den Charaktereigenschaften Knussens, derer Glanert hier gedenkt, ist vielleicht die wichtigste dramaturgische Frage, die die Partitur antreibt.
Obwohl die Sätze ineinander übergehen, hält Glanert sich weitgehend an die viersätzige Standardform einer Symphonie. Im turbulenten ersten Satz – „Rites“ – misst sich energiegeladenes Material, voll von orchestralem Sturm und Drang (später mit lebhaftem Einsatz der Windmaschine) mit einer etwas zögerlichen, lyrischen Idee. Unter Auskostung vielfältiger Trompetenfarben, von expressiven Ausbrüchen bis hin zu unruhigen Flatterzungeneffekten, findet der Satz seinen Höhepunkt in einer beweglichen Solokadenz, die in den langsamen Satz mit der Bezeichnung „Songs“ überleitet. Dieser „könnte als eine Art Abschiedslied gehört werden“, so Glanert – ein „Abschiednehmen“ à la Mahler, dessen Musik ihm lange Zeit als Leitstern diente. Glanert beschreibt „Songs“ auch als eine Art Blues und Hommage an die gesamte amerikanische Konzertmusik des 20. Jahrhunderts, die Knussen ihm nahebrachte. Vielleicht spiegelt dieser Satz auch die Empfindsamkeit von Lulu wieder, der zweiten Oper von Knussens Lieblingskomponisten Alban Berg, in deren Klangwelt sich ebenfalls Jazzfarben mischen. „Songs“ bildet in jedem Fall auch aus einem anderen Grund einen Angelpunkt des Stücks, da hier ein Motiv eingeführt wird, das für den Rest des Konzerts eine entscheidende Bedeutung haben wird. Dieses Motiv, das bereits in Tanzende Landschaft, Glanerts Ehrung zu Knussens fünfzigstem Geburtstag, auftrat, besteht aus einem Rhythmus aus lang lang kurz kurz, der wie ein klanglicher Fingerabdruck die Silben „Ol-ly Knus-sen“ bildet. (Knussen wurde von seinen Freunden und Kollegen „Olly“ genannt.)
Im scherzo-artigen „Dances“ spielt der Solist auf der hellen Piccolotrompete und werden Knussens Lebensfreude und sein berühmter Sinn für Humor musikalisch dargestellt. Der Satz nimmt an Eindringlichkeit zu, bis ein Orchestertutti in eine zweite Kadenz mündet, bei der der Solist (wieder auf der normalen Trompete) über Material aus allen drei vorangegangenen Sätzen sinniert. Es kommt zu einer Art Verwandlung, die in den wie mit einem Segen ausklingenden, coda-artigen letzten Satz namens „Invocation“ überleitet, in dem Glanert „Knussen seinen eigenen persönlichen Himmel schafft“. Die Musik bleibt allerdings nicht ganz und gar ruhig: Sie beschwört noch einmal die Atmosphäre von „Rites“ herauf, aber nun in einem neuen Licht, bis das Konzert seinen Höhepunkt erreicht, wenn die Trompete über dem gesamten Orchester immer wieder das Knussen-Motiv singt, in einer Akkordik, die die Erlösung einläutet.
© Matthew Mendez, 2019 (Übersetzung: Konstanze Höhn)