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Das Zusammenleben mit einem Wahnsinnigen wird für ein Ehepaar zum Albtraum in Alfred Schnittkes surreal-schockierendem Opernerstling Leben mit einem Idioten. Pünktlich zum 90. Geburtstag des Komponisten im November feiert das Bühnenwerk in einer vieldeutigen Neuinszenierung von Kirill Serebrennikov Premiere am Opernhaus Zürich.

„Ich ziehe es vor, keine Selbstinterpretation in meinen Inszenierungen vorzunehmen“, sagte der russische, in seiner Heimat oft angegriffene und in seiner Arbeit behinderte Regisseur Kirill Serebrennikov einmal. „Es ist die Aufgabe des Publikums, die Parallelen zu einer eigenen Realität zu finden.“ Reichlich Raum für Deutungen lässt auch Alfred Schnittkes Oper Leben mit einem Idioten nach Viktor Jerofejews 1980 veröffentlichter Erzählung: So wurden hinter der Figur des Idioten Wowa oft karikierende Parallelen zu Lenin wahrgenommen, während andere in der gewalttätig und anarchisch aufgeladenen Dreierbeziehung eines Ehepaars zu einem Wahnsinnigen jede in unserem Inneren verborgene Aggressionsbereitschaft erbarmungslos dargestellt sehen. Bereits Schnittke selbst hat darauf hingewiesen, dass es in seiner Oper „auf keinen Fall allein um den Kommunismus“ gehe, sondern viel mehr noch um einen allgemeinen Zustand, in dem „das Irrationale das Rationale beherrscht“. 1992 in Amsterdam unter der Leitung von Mstislaw Rostropowitsch uraufgeführt, kommt das vielschichtige Musiktheater nun in einer neuen Inszenierung von Serebrennikov am Opernhaus Zürich zu seiner Premiere.

> Kirill Serebrennikov über die Zürcher Inszenierung

Die Vorlage Jerofejews erzählt von einem Schriftsteller, der aus Mangel an Empathie mit der Strafe belegt wird, einen Insassen der geschlossenen Psychiatrie bei sich aufzunehmen. Zuerst funktioniert das erstaunlich gut, denn jener Insasse, Wowa, spricht außer „Ech!“ zunächst kein einziges Wort. Doch dann gerät die Situation völlig außer Kontrolle. Vergewaltigung, Mord und Zerstörung greifen um sich, und das fragile Beziehungsgeflecht zwischen Wowa und dem ihn beherbergenden Ehepaar stürzt in den Abgrund.

Die Musik des Polystilisten Alfred Schnittke, der in seinen letzten Lebensjahren in einen wahren Schaffensrausch verfiel und auf Leben mit einem Idioten noch zwei weitere Opern – Gesualdo und Historia von D. Johann Fausten – folgen ließ, begleitet die Handlung mit einer gehörigen Portion Ironie und Satire. Von Bachs Matthäuspassion über Volkslieder, die kommunistische Internationale oder einen Tango bis hin zu Schostakowitsch-, Chopin- oder Mahler-Zitaten reichen die Einblendungen in Schnittkes die Groteske dieses Sujets genial aufgreifender Partitur.

Jonathan Stockhammer leitet die Premiere am 3. November 2024 am Opernhaus Zürich. Bo Skovhus singt den nüchtern als „Ich“ bezeichneten Schriftsteller und Susanne Elmark dessen Frau. Die Rolle des titelgebenden „Idioten“ übernimmt Matthew Newlin.

3. November 2024, Opernhaus Zürich
Alfred Schnittke: Leben mit einem Idioten – Premiere
Inszenierung: Kirill Serebrennikov
Musikalische Leitung: Jonathan Stockhammer
Bo Skovhus, Ich; Susanne Elmark, Frau; Matthew Newlin, Idiot
Philharmonia Zürich, Chor der Oper Zürich

> Alle Infos auf der Homepage des Opernhaus Zürich

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„Tribute to Schnittke“
Nur wenige Tage nach der mit Spannung erwarteten Premiere veranstaltet das Opernhaus Zürich ein mit „Tribute to Schnittke“ überschriebenes Sonderkonzert und nimmt damit bereits den Geburtstag des Komponisten vorweg, der am 24. November 90 Jahre alt geworden wäre.

Das Ensemble Opera Nova unter Hans-Peter Achberger stellt mit den beiden Violinsolisten Bartlomiej Niziol und Xiaoming Wang am Beispiel von drei markanten Instrumentalwerken die Vielfalt von Schnittkes polystilistischer Musiksprache in den Fokus. Dass Schnittke dabei keineswegs „nur“ direkte Zitate aus Werken anderer Komponist*innen übernommen hat, sondern gleichermaßen Stilelemente, Motive und Kompositionstechniken aus der Vergangenheit in die Gegenwart übertragen hat, zeigt sich etwa in seiner Serie von sechs Concerti grossi. Hier hat Schnittke sich an barocke Formen und Klangbilder angelehnt und so eine Atmosphäre erzeugt, die zeitgenössische Musik zuweilen wie ein Original der Vergangenheit klingen lässt. In Zürich zeigen die Ausführenden dies exemplarisch auf:

Passend zur kurz bevorstehenden Weihnachtszeit steht Schnittkes extravagante Version für zwei Violinen von Franz Xaver Grubers berühmten Weihnachtslied Stille Nacht auf dem Programm. Bei seinem Concerto grosso Nr. 3 für zwei Violinen und Kammerorchester – entstanden anlässlich Johann Sebastian Bachs 300. und Heinrich Schützs 400. Geburtstag im Jahr 1985 – bezieht sich Schnittke neben diesen Jubilaren auch auf Händel und Scarlatti. Außerdem steht das in den 1970er-Jahren komponierte Konzert Nr. 3 für Violine und Kammerorchester auf dem Programm.

> Alle Infos zum Konzert am 7.11. auf der Homepage des Opernhaus Zürich

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Alfred Schnittke zum 90. Geburtstag
Vielleicht sei Alfred Schnittke, so Alexander Iwaschkin, Cellist und persönlicher Freund des Komponisten, überhaupt der emotionalste unter den Modernisten des ausgehenden 20. Jahrhunderts gewesen. Und der französische Komponist Henri Dutilleux ergänzte, dass er an Schnittkes Musik besonders das intensive Pulsieren schätze, das dessen Partituren beseele – inmitten oft heftiger, ja bestürzender Passagen, die manchmal wie von einer Halluzination diktiert zu sein schienen.

Am 24. November jährt sich der Geburtstag des 1998 verstorbenen Alfred Schnittke zum 90. Mal. 1934 als Sohn eines Journalisten deutsch-jüdischer Abstammung und einer wolgadeutschen Lehrerin im russischen Engels geboren, war der Komponist von Kindheit an mit der deutschen Sprache vertraut. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Familie bis 1948 in Wien, wo Schnittke Klavier studierte. Zum Studium ging er von 1953 bis 1961 ans Moskauer Konservatorium und begann bereits 1962 mit der Komposition von Filmmusiken. In dieser Zeit wandte er sich der polystilistischen Kompositionsweise zu, an deren Entwicklung auch Zeitgenossen wie etwa Arvo Pärt teilhatten. Schnittke sagte dazu einmal:

„Es ist ein Bewusstsein, dass es immer etwas noch vor dir gab, was es schon immer gab, und dass die ganze individuelle Musikentfaltung ein Weiterschreiten von dem Weg ist, der schon längst da war und der viel breiter ist als dein eigener Weg. Du kannst diesen Weg mitgehen, in dieselbe Richtung oder eine andere, aber es ist immer eine kleine Ableitung von dem großen Weg.“

Durch Kontakte zu Musikern wie Gidon Kremer, Yuri Bashmet oder Mstislaw Rostropowitsch, aber auch viele Dirigenten wurden Schnittkes Werke im Westen immer populärer. Ende der 1980er-Jahre ließ sich Schnittke mit seiner Familie in Hamburg nieder. Zu diesem Zeitpunkt war er von einem ersten Schlaganfall bereits stark gezeichnet. Von 1990 bis 1998 entstanden unter einem immensem Schaffensdruck neben seinen Aufgaben als Lehrbeauftragter an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater nicht nur drei Opern, sondern etliche seiner bedeutendsten Werke überhaupt, darunter die nicht mehr vollendete Sinfonie Nr. 9, oder eben seine wohl erfolgreichste Oper Leben mit einem Idioten. Erst kürzlich hat die Musikwissenschaftlerin Amrei Flechsig eine neue Publikation zu Schnittke vorgelegt. In „Alfred Schnittke in Hamburg“ hat sie Texte, Dokumente und Materialien zu den letzten, künstlerisch so ertragreichen Lebensjahren des Komponisten zusammengetragen, der am 3. August 1998 nach langer Krankheit starb.

> Mehr Infos zu „Alfred Schnittke in Hamburg“
 

>  Further information on Performance: Life With an Idiot

>  Further information on Work: Life With an Idiot

Foto: Promotionmotiv (© Opernhaus Zürich)

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