Reflectere

„Komponieren ist für mich eine ewige Suche nach dem idealen Klangbild. Das vorläufige Ergebnis, was ich gerade aufs Papier bringe, möchte ich als eine Widerspiegelung meiner momentanen Beobachtung auf das Umfeld nennen, in dem ich mich befinde. Dies bleibt in diesem Sinne vorläufig unvollendet und wird später fortgesetzt.
In dieser Komposition konzentrieren sich die Töne im engeren Raum und entfalten sich in minimalen Schritten. Der Dialog findet zwischen den Tönen und der Stille, zwischen den realen Klängen und dem Nichts statt. Deutliche Merkmale der Musiktraditionen - sowohl meiner als auch anderer Kulturen - verschwinden. Ich versuche die Musik rein durch die Abstraktion zu gestalten und lasse sie selbst sagen, was zum Ausdruck gebracht werden soll.

Für mich waren die folgenden Fragen bei der Komposition von ‚reflectere‘ von Bedeutung. Fragen, die sich mir allerdings regelmäßig stellen:
Kann ein idiomatisches Ausdrucksmittel von universeller Bedeutung sein?
Gibt es heute noch die Möglichkeit, eine Musik zu schreiben, die über die Grenzen der Räumlichkeit und die der Zeit hinauswirken wird?
Bin ich kulturell in China oder in Europa zu Hause, oder ist dieses Zuhause sowohl in China als auch in Europa oder weder in China noch in Europa zu finden?
Ist dieser Zustand ein Signal für einen Mangel oder für eine Bereicherung der Seele?

Das Leben in Europa seit über zwei Jahrzehnten hat meine Persönlichkeit verändert und hat zu einer Synthese mit einer neuen Qualität, einer ‚neuen‘ Identität geführt.
Eines ist mir klar: Die Musik wirkt direkt auf die Menschen, direkter als alle anderen Medien.
Die Musik hat manchmal eine mysteriöse Kraft, bei deren Entstehung die Komponisten ihre Empfindung eher instinktiv verfolgen, was mit Worten kaum erklärt werden kann. Dieses Phänomen reizt meine Neugier.
Diese Komposition soll mein Nachdenken, mein Verständnis zu der Umwelt zum Ausdruck bringen. Sie soll den Umwandlungsprozess meiner Existenz und meiner Gedanken musikalisch reflektieren.“ (Xiaoyong Chen)