Bote & Bock
Die 1964 entstandene Symphonie für Streichorchester gehört zu den Hauptwerken aus Laks‘ zweiter bedeutender Schaffensphase zwischen 1960 und 1967. Sie wurde am 15. Mai 1966 im Posener Dzialynski-Palast durch das Posener Kammerorchester unter Robert Satanowski uraufgeführt. Mit ihren dunklen Farben, der herben Strenge der Harmonik und rhythmischen Rigorosität ist sie das kontrastierende Gegenstück zu Laks’ 1936 entstanderer, ironisch-unbeschwerter Sinfonietta für Streicher. Neoklassizistisch ist hier nur noch die formale Anlage als viersätzige Symphonie mit einem gewichtigen Kopfsatz in Sonatenform, einem zweiten langsamen Satz, Scherzo und Finale. Die Tonsprache knüpft in ihrer Linearität und extremen Chromatik an Bartók an, auf rhythmischer Ebene spüren wir den selben faszinierenden Elan vital, wie er für die Musik polnischer Komponisten dieser Generation (Panufnik, Tansman, Spisak, Szalowski u. a.) so charakteristisch ist. Das glühende Herz des Werkes ist zweifellos der 2. Satz, eine Passacaglia, die allein durch ihre Ausmaße zum Gravitationszentrum wird – sie nimmt ein Drittel der Gesamtdauer der Symphonie in Anspruch. Die Passacaglia (französisch: Chaconne) spielt als Form in Laks’ Schaffen eine zentrale Rolle, und ihre außermusikalische Konnotation ist offensichtlich: sie liegt seinem gespenstischen Antikriegs-Melodram „Le Général“ aus den späten 1930er Jahren zugrunde, und er verwendet sie wieder in einer seiner ersten Nachkriegskompositionen, der Vocalise-Passacaille für Stimme und Klavier, einem ergreifenden Requiem ohne Worte in Miniaturformat. Mieczyslaw Jastruns Gedicht „Pogrzeb“ (Der Abschied) von 1967, der einzige Text in Laks’ Liedschaffen, der konkret Bezug nimmt auf die Hölle von Auschwitz, ist als Passacaglia vertont. Die schicksalhafte Unerbittlichkeit, die in der Wiederholung des immerselben Bassthemas evoziert wird, ist ein musikalischer Topos, der in zwei frühen Hauptwerken der Gattung zu paradigmatischer Formulierung gelangte: in Purcells g-Moll Chacony für Streicher und Bachs d-Moll Chaconne für Solo-Violine. Weinberg lässt letztere auf dem Höhepunkt seiner Oper „Die Passagierin“ von dem jüdischen Häftling Tadeusz vor der versammelten KZ-Obrigkeit anstimmen, als Akt des Widerstands, anstelle des vom Kommandanten gewünschten Walzers, was seine sofortige Hinrichtung nach sich zieht. Laks, ein Meister des Understatements und der Diskretion (im Leben wie im musikalischen Werk), schreibt dem zweiten Satz seiner Symphonie diese Engführung von zivilisatorischem Gipfelwerk und absoluter Barbarei mitteils zweier Motivzitate ein: das B-A-C-H-Thema „findet“ sich in den melodischen Entwicklungen über dem Fundamentalbass ebenso wie die initialen Töne (f-e-f-d) des „Dies irae“, als komponiere er einen Kommentar zu Celans „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Er thematisiert diesen „deutschen Antagonismus“ dann auch in „Musik in Auschwitz“, als er einen Zwischenhalt seines Transports mit dem Viehwagon in Eisenach, Bachs Geburtstort, lakonisch kommentiert: „das war seit meiner Deportation das erste Zusammentreffen mit der Musik“. In der Anlage des achttaktigen Passacaglia-Themas wird Laks’ Bemühen deutlich, die Ultrachromatik der Dodekaphonie mit den Bedürfnissen des Ohres nach „tonaler“ Orientierung zu versöhnen. Auf engem Raum finden sich alle 12 Töne der chromatischen Skala, allerdings sind diese zu Motiv-Zellen gruppiert, die in sich durch die Dominanz von Terz-Schritten, Quarten sowie steigenden und fallenden Leittönen ein energetisches Wechselspiel von Spannung und Entspannung erzeugen, wie sie für tonale Musik (im weitesten Sinne) charakteristisch ist. Die enorme innere Spannung, die im polyphonen Geflecht aus der permanenten Ambivalenz der intervallischen Bezüge resultiert, wird erst am Ende des letzten Satzes in einem reinen, fast schmerzhaft strahlenden C-Dur-Akkord aufgelöst.
Frank Harders-Wuthenow
Amadeus Chamber Orchestra of Polish Radio / Anna Duczmal-Mróz
cpo 555 523-2