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Boosey & Hawkes
Als ich den Auftrag erhielt, ein Begleitstück zu Bruckners e-Moll-Messe zu schreiben, wurde ich ausdrücklich gebeten, einen Text zu verwenden, der einen Bezug zum Göttlichen hat.
Schließlich entschied ich mich für ein Gedicht aus Rilkes Stundenbuch, das so beginnt: „Dein allererstes Wort war: Licht“.
Das Gedicht bleibt nicht lange im Reich des Lichts, sondern spielt bald auch auf die paradoxe Natur der Schöpfung an, auf die Angst und das Leid, die die Existenz des Menschen mit sich bringt.
Als Titel suchte ich nach etwas, das sowohl die Macht und Herrlichkeit des Lichts als göttliche Kraft als auch seine komplexe Beziehung zum Menschen zusammenfasst – die Schatten, die es wirft, und die Dunkelheit, die es hinterlässt.
In dem ihrem Vocabulaire Européen des Philosophies, dictionnaire des intraduisables schreibt Barbara Cassin:
„Phôs, das gleiche Wort wie ‚Licht‘, [...] bezieht sich auch auf einen Mann, einen Helden, einen Sterblichen und war zu Homers Zeiten ein gängiger Begriff. [...] Der griechische Mensch ist also derjenige, der als Sterblicher das Licht sieht (das des Tages seiner Geburt, der Rückkehr, des Todes), das, was im Licht erscheint, die Phänomene, und die Person, die sie erleuchtet, indem sie sie ausdrückt.“
Ich fand, dass diese komplexere Etymologie des Begriffs „Licht“ die Ideen des Gedichtes recht gut wiedergibt.
Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, das Werk Phôs zu nennen.
Mark Simpson, 2024 (Übersetzung: Isabel Schubert)