Concerto for Violoncello and Orchestra 'Diary of a Madman'
(2021)2(I=picc/II=afl).2(II=corA).2(II=bcl).2(II=dbn)-2.2.2(II=btrbn).1-timp.perc(3):tgl/crot/flex/t.bells/glsp/vib-hp-cel-strings
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Sikorski
„Anfang 2021 schrieb ich das Cellokonzert ‚Diary of a Madman‘ (Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen), inspiriert von Gogols berühmter Kurzgeschichte über Poprischtschin, einen Regierungsangestellten, der allmählich dem Wahnsinn verfällt. Das Cellokonzert wurde im Januar 2022 von den Münchner Philharmonikern unter Giedre Šlekyte und Gautier Capuçon als Solisten uraufgeführt. Nikolai Gogol (oder richtiger aus dem Ukrainischen transliteriert: Mykola Hohol) war ein in der Ukraine geborener genialer Schriftsteller, der Vater der russischsprachigen Literatur und ein Visionär weit über seine Zeit hinaus. Ich war mein ganzes Leben lang von seiner Arbeit fasziniert. Vor zehn Jahren, als ich meine Oper Gogol komponierte, las ich alles, was er je geschrieben hatte, immer und immer wieder. Beim Komponieren des Cellokonzerts habe ich nicht an Wladimir Putin gedacht.
Jetzt jedoch schwingt in Gogols Geschichte plötzlich eine unheimliche Assoziation mit. ‚Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen‘ ist die Geschichte eines einfachen Regierungsbeamten von unauffälliger, unscheinbarer Persönlichkeit. In seinen zunehmend dementen Tagebucheinträgen behauptet Poprischtschin, dass ein Staat nicht ‚ohne einen König sein kann‘. Im Verlauf der Handlung wird er immer verrückter und größenwahnsinniger und hält sich schließlich am ‚43. April des Jahres 2000‘ für den König. (Wladimir Putin wurde am 7. Mai des Jahres 2000 erstmals zum Präsidenten Russlands gewählt. Gogol schrieb seine Geschichte 1835!). Schließlich landet Poprischtschin in einer Irrenanstalt. Vielleicht konnte Gogol, der Visionär und einer der größten Schriftsteller, der je gelebt hat, über das 19. und 20. Jahrhundert hinausblicken – in das Herz des 21. Jahrhunderts, wo wir dazu verdammt sind, die ewige Geschichte fortzusetzen.
Gogols Visionen und Albträume werden Wirklichkeit, und die ganze Welt verwandelt sich in ein Irrenhaus, während die große Tragödie ihren Lauf nimmt. Wer wird den Verrückten aufhalten? Wenn ich an großen Werken arbeite, nähere ich mich normalerweise ähnlichen Themen durch bildende Kunst – Malerei oder Skulpturen. Während der Arbeit am Cellokonzert habe ich zum Beispiel meine Bronzeskulptur ‚Totentanz‘ aus der Serie ‚Music in Bronze‘ fertiggestellt. ‚Totentanz‘ ist meine Reflexion über Tod, Feuer und Zerstörung. Die brennende Musik, die in den Körper der Skulptur eingraviert ist, ist ‚Memento mori‘. Die Arbeit an Gemälden und Skulpturen wurde zu einem unverzichtbaren Teil meines Schaffensprozesses. Manchmal scherze ich, dass ich bildende Kunst mache, anstatt einen Psychiater aufzusuchen. Durch die bildende Kunst kann ich mich bestimmten Themen aus einer anderen Perspektive und mit anderen Mitteln als der Musik nähern.“ (Lera Auerbach)