Peter Pan
(1950)Buch von James Matthew Barrie, deutsche Fassung von Erich Kästner; Gesangstexte von Leonard Bernstein, deutsche Fassung von Isolde E. Ruck (engl., dt.)
3S, Bar; male voices (TTBB);
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Erich Kästner text rights represented by Felix Bloch Erben, Berlin
Abbreviations (PDF)
Boosey & Hawkes, Sole Agent
Die Geschichte von Leonard Bernsteins Songs und Bühnenmusiken zu J. M. Barries Theaterstück Peter Pan ist kompliziert. Bernsteins Beteiligung an der Broadway-Produktion von 1950 – mit Boris Karloff und Jean Arthur in den Hauptrollen – war relativ begrenzt im Vergleich zu seinen anderen Werken für den Broadway. Aufgefordert, einige Tänze und instrumentale Cues beizutragen, „verlor er seinen Kopf“ und überraschte die Produzenten über das Erwartete hinaus mit sieben Songs einschließlich eigener Gesangstexte. Bernstein hielt sich während der Probenphase für die Show gerade in Europa auf und konnte deshalb nicht in dem Maße am kreativen Prozess teilnehmen, wie er es sonst bei Bühnenwerken gewohnt war. Es war Trude Rittman, die als „Musical Coordinator“ sein Material übernahm und es den jeweiligen Erfordernissen entsprechend für die Produktion aufarbeitete, etwa indem sie sich für Reprisen und Szenenmusiken bei Bernsteins umfangreicheren Nummern bediente und Tinker Bells musikalische Deklamationen dem Dialog des Sprechstücks anpasste. Dieser Peter Pan ist kein Musical – Bernstein hat kein musikalisch-dramatisches Ganzes wie in seinen anderen Werken ausgearbeitet und war nicht direkt an der Produktion beteiligt. Nichtsdestotrotz zeigt die Partitur die klare Anwendung motivischer Entwicklung, außerdem Konsequenz in Haltung, Unschuld und Witz, deren Zusammenwirken eine stilistische Einheit erzeugt.
Zahlreiche merkwürdige Änderungen wurden an der Partitur vorgenommen, nachdem sie Bernsteins Hände verlassen hatte. Das wunderbare „Träum mit mir“, Wendys abschließender Song, wurde zugunsten einer unmotivierten Reprise von „Wer bin ich?“ über Bord geworfen. Auch wurde eine zusätzliche Szene zu Hooks Tod kreiert (in dieser Ausgabe bzw. im Stück selbst ebenfalls nicht vorhanden), in der „Plank Round“ und „Nimmerland“ zusammengestrickt und mit neuem Text dubioser Herkunft (jedenfalls weder von Bernstein noch Barrie) versehen wurden, um der Geschichte statt der vieldeutigen eine oberflächliche Moral überzustülpen. Für das Original Cast Recording wurden Bernsteins Instrumentalnummern aus nicht mehr bekannten Gründen durch neue von Alec Wilder ersetzt, was zu der Fehlannahme führte, Bernsteins entsprechende Musik sei für die Broadwayfassung nicht verwendet worden; und die Songs selbst wurden abgeändert, um zu gesprochenem Erzählertext und neuen Einleitungen zu passen. Viele von diesen nur für die Einspielung gedachten Änderungen der Songs wurden wiederum in das Orchestermaterial der Bühnenfassung zurückübertragen. Für die US-Tournee mit Lawrence Tibbet als Hook fügte Bernstein einen neuen Song hinzu, „Captain Hooks Monolog“, doch sie wurde unterwegs abgebrochen, und so blieb die Nummer für Jahrzehnte ungehört.
Bernsteins Musik für Peter Pan lag über ein halbes Jahrhundert lang auf Eis, weitgehend vergessen bis auf ein paar vereinzelte Produktionen kleinen Formats und überschattet von einer aufgeblasenen musikalischen Bearbeitung von 1954 (mit Gesangstexten von Betty Comden und Adolph Green, inszeniert und choreographiert von Jerome Robbins, Bernsteins langjährigen Freunden und Mitarbeitern). Doch 2001 erschien der Dirigent Alexander Frey im Bernstein Office mit dem Vorschlag, eine Gesamtaufnahme einschließlich „Träum mit mir“ und „Captain Hooks Monolog“ zu realisieren, wofür neue Orchestrierungen durch Sid Ramin und mich geschrieben wurden. Diese Einspielung wurde zu einem großen Erfolg und führte zur ersten Bühnenproduktion von Bedeutung seit über einer Generation. Allerdings war das einzige zum damaligen Zeitpunkt verfügbare Notenmaterial ein Stimmensatz, hergestellt durch ein kleines lokales Theater in den 1980er Jahren und völlig ungeeignet für eine Verlagsveröffentlichung. Es wurde deutlich, dass, um das Werk zum Erfolg zu bringen, eine komplette Orchesterpartitur (alle vorangegangenen Versionen wurden vom Klavierauszug aus dirigiert) und neue Stimmen erstellt werden mussten.
Die größte Herausforderung bei der Vorbereitung dieser Neuedition aber war es, zu definieren, was genau Peter Pan sein sollte: das Dickicht aus Änderungen, Kürzungen und Transpositionen zu entwirren, das die Historie um das Werk gesponnen hatte, zu den ursprünglichen Szenenmusiken und Songs gemäß Bernsteins Absichten zurückzukehren und die Musik in einer praktischen Form zu präsentieren, die bei Produktionen von Barries Theaterstück verwendet werden konnte. Glücklicherweise wurden irgendwann die Originalstimmen von 1950 dem Bernstein-Archiv in der Library of Congress übersandt. Die Rückkehr dieser Quellen bot allerlei Möglichkeiten und Überraschungen – endlich konnten die vielen Änderungen, die über die Jahre an den einzelnen Nummern vorgenommen worden waren, identifiziert und zurückverfolgt werden. Alle Striche wurden wieder geöffnet, und die Songs erhielten wieder ihre ursprünglichen Tonarten. Zugleich wurde klar, dass viele der kürzeren instrumentalen Cues und Verwandlungsmusiken in den jüngeren Versionen eigentlich Ausschnitte aus umfangreicheren Nummern waren und der Originalpartitur erst später hinzugefügt wurden; andere Momente des Stücks hingegen erforderten kurze Szenenmusiken, auf die es in den Noten keinen Hinweis gab. Weil aber Bernstein nie einen genauen Plan festgelegt hatte, wo all seine Musik im Theaterstück erklingen sollte, habe ich die besten dieser Cues in die vorliegende Ausgabe eingefügt und, wo nötig, weitere ergänzt (zum Beispiel die Kinderklavier-Reprise von „Wer bin ich?“ in der letzten Szene).
Unsere Ausgabe spiegelt die engstmögliche Verzahnung der Musik mit dem Theaterstück wider und präsentiert diese erstmalig in einer akkuraten und umfassenden Orchesterpartitur. Sehr dankbar bin ich Alexander Frey für seine unermüdlichen Bemühungen, Bernsteins Musik zu Peter Pan ans Licht zu bringen. Dank geht aber auch an Scott Eyerly, der diese Partitur durch sämtliche komplizierte Stadien immer wieder korrekturgelesen hat. Mit dieser Edition ist die große Mauer vor Leonard Bernsteins Peter Pan gefallen, und nun kann dieses Werk endlich für die Bühne produziert und als das Stück Theaterwunder gehört werden, das es ist.
Garth Edwin Sunderland