Bote & Bock
Einen "musikalischen Blumenstrauß für Boris Blacher" habe er damals schreiben wollen, kommentierte Isang Yun in den achtziger Jahren sein Trio für Violine, Violoncello und Klavier. Angeregt hatte der Pianist Horst Göbel diese Komposition für ein Konzert zu Blachers 70. Geburtstag. Bis zur Uraufführung durch das Göbel-Trio in der Berliner Akademie der Künste am 23. Februar 1973 hatte Yun jedoch nur den sechsminütigen ersten Teil fertiggestellt. Erst im Herbst 1975 komponierte er die folgenden sechs Minuten: einen bewegten zweiten Teil mit einem leisen Schluss. Laut Eintrag in der autographen Partitur wurde das Gesamtwerk am 7. November 1975 vollendet.
Das Klaviertrio basiert auf einer Zwölftonreihe. Die Streicher und das Klavier behandelt Yun zunächst als selbständige Klangschichten. Mit einem kraftintensiven Primärimpuls artikulieren die Streicher einen lang ausgehaltenen Piano-Klang: ein vierstimmiger Akkord erscheint als kleine statische Klangfläche. Bewegung bringt das Klavier mit in langsamem Tempo und leiser Dynamik aufsteigenden drei- bis vierstimmigen Akkorden, die durch Mundorgelklänge inspiriert sind. Im folgenden wiederholt und variiert Yun dieses Modell zwei mal; das Klavier übernimmt nun die Rolle der "unbewegten" Streicher und umgekehrt übernehmen die Streicher die wie Blüten sich öffnenden Aufwärtsgesten des Klaviers. Bei jedem dieser mit einem "Rollentausch" verbundenen Abläufe erfolgt ein Tönhöhengewinn sowie eine relative Bewegungszunahme. Wie bei einem subtilen Wachstumsschub spielen dann die Streicher col legno [mit dem Holz des Bogens] kleine Glissandogesten. Zurückhaltend agiert und reagiert das Klavier in dieser Phase mit akkordischen Klängen in hohen Lagen.
Ein weiterer Wachstumsschub wird durch Glissandogesten der nunmehr sordinierten Streicher eingeleitet. Der Pianist unterstützt die Streicher hier durch kontinuierliche Arbeit überwiegend im Innenraum des Flügels (bisbigliando, kurze Glissandi und andere leise, geräuschhaft verfremdete Mittel). In der darauf folgenden Phase (ab T. 45) gehen durch aufwärts geführte rasche Tongirlanden die ersten Impulse zur Veränderung vom Klavier aus. Allmählich entwickeln die Streicher ihre glissandierenden Klangbänder zu zart belebten Aufwärtsgesten, die in Terztrillern ausklingen. Eine variierte Wiederaufnahme des Beginns beschließt den stets leisen ersten Teil im dreifachen piano.
Der (in sich wiederum dreiteilige) zweite Teil erhielt seinen vergleichsweise emotionalen Ausdruck aufgrund des Todes von Boris Blacher am 30. Januar 1975. Den Tombeau-Charakter zeigen die Pizzicati (auch: Bartók-Pizzicati!) des Cellos am Beginn. Neues Vokabular dient hier in den Eckteilen zur Gestaltung einer dynamisch erregten Atmosphäre: Tremoli, Glissandogesten über große Intervalle u. a. Heftig dynamisierte, fast eruptive Klanggesten verebben in der Höhe, zuletzt im klagenden Gestus des Violoncellos. Eine Phase aus heftig akzentuierten, ineinander verzahnten Doppelgriffen (auch mit Trillern) mündet, den Höhepunkt markierend, in laute Bartók-Pizzicati beider Streicher.
Der poetische mittlere Abschnitt ist mit seiner zurückgenommen Dynamik introvertierter und erinnert durch seine floral-vegetative Bewegung an den ersten Teil der Komposition. Neue Mittel sind hier con sordino-Trillerketten der Streicher sowie virtuose Zweiundreißigstel-Melismen im Klavier.
Ein energischer Septolenauftakt des Klaviers leitet die variierte Wiederkehr des Tombeau-Teils ein. Die Gestik ist hier verkürzt und radikalisiert. Umso stärker ist der Kontrast zum leisen Epilog: dolcissimo intonieren alle Instrumente den Hauptton A, der allmählich noch weiter aufwärts, gen Himmel, geführt wird. Von der Tiefe aus erfolgen schließlich zwei aufwärts führende Entwicklungen, in denen Yun auf die Glissando-Gestik des ersten Teils zurückgreift.
Walter-Wolfgang Sparrer (2000)