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Bote & Bock
Wenn man zum Verständnis meiner Symphonie IV ein 'Programm' braucht, so ist der erste Satz als eine Schilderung der vielfältigen Konflikte im menschlichen Zusammenleben zu deuten, als Konfrontation hoffnungsvoller Ansätze mit immer neuen Bedrohungen, als ständiger Kampf positiver Tendenzen gegen negative Widerstände. Der zweite Satz ist, im Großen und Ganzen betrachtet, ein Gesang von unterdrückten Menschen oder für sie gesungen. Der Gesang kommt aus dem Dunkeln und versinkt immer wieder in Düsternis, immer und überall. Beim Komponieren habe ich an die asiatischen Frauen gedacht, die von der Männergesellschaft missachtet und unterdrückt werden. Ich möchte ihnen mit meiner Stimme beistehen – den Frauen, die in Kriegsgebieten mit ihren Kindern der Gewalt wehrlos ausgeliefert sind; den jungen Mädchen, die mit mehr oder weniger offizieller Duldung zur Prostitution gezwungen sind; den Arbeiterinnen, die im Schatten des Wirtschaftswunders als moderne Arbeitssklavinnen elementarer Menschenrechte beraubt werden. Alle diese Frauen leben im Dunkeln. Ohne Gesang wäre ihr Leben ohne jede Hoffnung.
Als Isang Yuns Mutter 1917 mit ihm schwanger ging, träumte sie von einem verwundeten Drachen-Symbol für ein bedeutendes, aber schweres Schicksal. Korea stand bis 1945 unter japanischer Fremdherrschaft, und wurde 1953 infolge des Korea-Kriegs geteilt. Schon als Kind erlebte Yun den täglichen stillen Kampf um die nationale Identität. Die offizielle Sprache war das Japanische, und Klavierlieder, die er als Jugendlicher schrieb, wurden aufgrund ihrer koreanischen Texte verboten. Der Komponist Isang Yun, deutscher Staatsbürger und koreanischer Patriot, gilt heute in seiner Heimat als ein Symbol für Freiheit und Befreiung, für Demokratisierung und Wiedervereinigung. Von seiner Rolle als Exilpolitiker, von seinem Einsatz für den Frieden müsste in einem Text über seine Musik nicht notwendig die Rede sein, wenn nicht der appellative Ton einer „Bekenntnismusik" sowie die Wunden, die die Politik ihm schlug, unüberhörbar wären.
Yuns Symphonie IV, in Berlin-Kladow vom 18. April bis zum 8. Juli 1986 niedergeschrieben, ist ein Auftragswerk zur Einweihung der Suntory Hall. Das zweisätzige Werk hat den Titel „Im Dunkeln singen". Yun entlehnte diesen der Publikation der Tagebücher 1982-85 der mit ihm befreundeten Schriftstellerin Luise Rinser, die zu seinem 60. Geburtstag den „Dialog über Leben und Werk des Komponisten" führte (Frankfurt am Main 1977). Bei weit gespannten Aufwärtsentwicklungen wird in dieser, einer koreanischen Gedichtdeklamation nachempfundenen Symphonie der Gesang der Streicher, im zweiten Satz der Oboe, immer wieder brutal abgebrochen.
Im ersten Satz verfolgt Yun in einer asymmetrischen Periodizität Deklamationsprinzipien, die dem koreanischen Sijo nachgebildet sind. Sijo ist neben Kagok und Kasa ein zentraler Typ des klassischen koreanischen (Kunst-)Liedgesangs. Charakteristisch ist – bei vergleichsweise kurzen Melismen – die Konzentration auf das Wesentliche. Beim Sijo-Gesang werden drei gesungene Tang'ga-Verse (lyrische Kurzgedichte aus der Koryo-Zeit, 935-1392) von der Sanduhrtrommel Changgo begleitet. Die fast spröde melodische Struktur ist weitgehend standardisiert und pendelt zwischen nur zwei Kerntönen im Quart- oder Quintabstand. Für seine Symphonie IV ließ sich Yun darüber hinaus vom lombardischen Rhythmus des Sijo inspirieren, also durch den Klangfuß kurz / betont – lang / unbetont. Bedeutsam sind hier – in den ersten Takten z. B. in den Violoncelli – die Kerntöne H und E. Als allgemeine Merkmale erscheinen der erregte, vorwärtsdrängende Ton, aber auch der kontrastierende Umschlag in die Stille und „Unbewegtheit" einer Klanginsel. Der kontinuierliche Fluß der rivalisierenden, sich gleichsam aneinander abarbeitenden Klangschichten, die stets rotierenden Wechsel in der Instrumentation sind für Yun von der Symbolik und Dialektik des (männlichen) Yang und (weiblichen) Yin geprägt. Die Gegensätze des Harten und Weichen, des Dissonierenden und Konsonierenden, des Chromatischen und des Diatonischen bestimmen Intervall- und Akkordformen, aber auch die stets um Steigerung bestrebte Dramaturgie. Den Gesang der Streicher begreift Yun als „Vorschein" eines Utopisch-Schönen, Blechbläser und Schlaginstrumente stehen für Dämonisch-Zerstörendes, während er die Stimmen der Holzbläser mit den Qualitäten, aber auch mit der Wechselhaftigkeit der menschlichen Rede in Verbindung bringt.
Im zweiten Satz, der sowohl die Funktion eines langsamen Satzes als auch die eines Finales erfüllt, ersetzt Yun den dramatisch-deklamierenden Gestus des ersten Satzes durch einen dunkel gefärbten, ruhig-entschiedenen Tonfall. Aus dem Gesang der Oboe, wie schon im ersten Satz auf h einsetzend, erwächst ein kammermusikalisches Strömen. Zweimal rotieren die Orchestergruppen (Streicher, dann Holzbläser, schließlich die ihrer Entfaltung Einhalt gebietende Gegenwelt der Blechbläser mit Schlagwerk), ehe sie zu einem großen Tutti vereint werden. Kontrastierend erfolgt schattenhaft, langsam und leise die Reduktion aufs Kammermusikalische: zarte Tremoliglissandi und Doppelflageoletts der Violinen, Wiederaufnahme des Oboensolos auf h. Über den (sordinierten) Streichern erklingen dann Soli der (nicht sordinierten) Blechbläser; Paukenschläge markieren ein Tutti der Düsternis. Wie auch im ersten Satz (dort mit anklagenden, stur und starr auf engem Raum repetierten Klanggesten des Xylophons) intensiviert Yun zuletzt noch die Gegensätze: Er erweitert nun den Gesang der Solo-Oboe zum Quartett mit Klarinette, Violine und Violoncello. Diesem antwortet ein letztes Tutti ebenso lakonisch wie dann auch kraftvoll.
Walter-Wolfgang Sparrer (1994)
Filharmonia Pomorska Bydgoszcz / Takao Ukigaya
CPO 999 165-2