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Bote & Bock
"Philosophisch" nannte Yun die einsätzige, in sich dreiteilige Symphonie III (1985) mit der Folge schnell - langsam - schnell. Während er im Orchesterstück Dimensionen (1971) die Entfaltung der Gegensätze, die im Namen des Tao Himmel, Erde und Mensch in Beziehung setzt, in simultaner Klangschichtung anlegt, geschieht sie hier in der Sukzession rivalisierender Klangwelten. Idealtypisch ordnet Yun dazu bestimmten Instrumentengruppen jeweils bestimmte Takt- und Tempoarten zu. Drei Klangwelten stehen einander gegenüber, drei Charaktere bestimmen die Struktur: Dem 6/4-Takt sind bei ruhigem Metrum die Streicher (für Yun Symbol himmlischer Reinheit) zugeordnet, während die Blechbläser und Pauken (symbolisch für das Dunkle und Dämonische) bei raschem Metrum im 4/4-Takt notiert sind. Die vermittelnde, "menschliche" Welt der Holzbläser repräsentiert der 5/4-Takt in mittlerem Tempo. Das Auftragswerk der Berliner Festspiele wurde im Rahmen der Berliner Festwochen 1985 uraufgeführt.
Der langsame Mittelteil (6/4-Takt) ist mit Soli von Fagott, Oboe, Horn, Flöte, Klarinette, Violine und Trompete in sich relativ einheitlich. Dagegen gibt es in den Eckteilen häufige Takt- und Tempowechsel. Wenn man den Takteinteilungen Yuns folgt, dann hat der erste Teil elf und der dritte Teil sieben Phasen unterschiedlicher Länge, die - sich rondellartig spiegelnd - einander ablösen.
Ideal, Einbruch und Verstörung erscheinen sukzessive in den ersten zwanzig Takten: Dem Sich-Einschwingen der Kontrabässe mit einer Melodik aus Sekunden, Terzen und Quarten antworten die Violinen im kontinuierlichen Aufwärts. Diese zweistimmige ovale Hülse der Takte 1-13 nimmt im kleinen als Mikrokosmos den Tonhöhenverlauf des Ganzen als Makrokosmos voraus. Sie wird konkret gefüllt durch die anschließende viertaktige Phase der Blechbläser mit Pauken, Gurke und Schellen. Verstört erklingen danach aufwärts treibende Terz-/Sekund-Trillerketten der Holzbläser, deren "Unbestimmtheit" durch Horn und Tuba stabilisiert wird.
Was folgt, ist rotierende "Wiederholung" dieses drei Klangwelten exponierenden Prozesses. Bei unterschiedlicher Instrumentation findet, keineswegs schematisch und mit verschiedenen Dauern, ein Prozess wechselseitiger Beeinflussung statt: Die "Reinheit" der vierten Phase (6/4-Takt) ist durch zunehmenden Dissonanzgrad eingetrübt, der darauf folgende "zerstörerische" Bläserblock (4/4) aber aufgehellt. Die sechste Phase (6/4-Takt) bringt nicht nur Kontrabässe und Violinen, sondern auch Holzbläser, Vibraphon, Glockenspiel und Harfe. Spätestens hier wird das Prinzip deutlich: Schon um gegen die physische Kraft des Blechs anzukommen, muss die "reine" Klangwelt zunehmend "unreine" Elemente in sich aufnehmen.
Im dritten Teil der in einer Dramaturgie steter Steigerung angelegten Komposition kommt es zu äußerst heftigen Ausbrüchen im Blech. Dem Grundgedanken entsprechend, dass mit Weichheit das Harte zu zähmen sei, endet Yuns Symphonie III mit einer farblich durch Bassklarinette und Kontrafagott eingedunkelten 6/4-Takt-Phase. In den Kontrabässen und Violinen verklingt der Tritonus A-Dis. Der Ton A steht in der Symbolik des Komponisten für Klarheit und Vollkommenes. Seine Ergänzung wäre die reine Quint E. Die Spannung des Halbtonschritts vom Dis zum (imaginären) E verweist auf die Arbeit, die noch zu leisten wäre. Was als "Arbeit im musikalischen Raum" erreicht wurde, lässt sich jedoch ziemlich genau ablesen: Die Entwicklung führt von der verminderten Quart gis1-c4 (T. 13) zur übermäßigen Quart A-dis4 (Schlusstakt 291) - zwar aufwärts in geweiteten Raum, doch um den Preis schmerzlicher Gespanntheit.
Yun selber kommentierte das Werk in Salzburg 1993 mit der Äußerung, er habe mit seiner Symphonie III, "die menschliche Blindheit und Egozentrismus bloßstellt", "die Menschen etwas zur Besinnung bringen wollen."
Walter-Wolfgang Sparrer (1996)
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken / Myung-Whun Chung
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 002