Bote & Bock
Der Titel Sonata, den Isang Yun für sein Trio für Oboe (Oboe d'amore), Harfe und Viola wählte, ist eine Reminiszenz weniger an die Form als an die – in der Geschichte der europäischen Musik zentrale – Gattung. Dieser entspricht Yun mit einem Kompendium seines Klangvokabulars sowie anspruchsvollen Spieltechniken. In einer im Ganzen dreiteiligen Anlage entfaltet er Prinzipien der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit; das fast dreißigminütige Werk folgt einer erzählenden Dramaturgie.
Angeregt durch zwei Duostellen im Doppelkonzert für Oboe und Harfe mit kleinem Orchester (1977) baten die Solisten Ursula und Heinz Holliger Yun um ein neue Komposition für Oboe und Harfe. Den programmatischen Vorwurf des Doppelkonzerts bildet das Märchen von Kuhhirte und Weberin – zwei Sternbildern, die nur einmal im Jahr zusammenkommen können. Zwei Duostellen bringen dort eine Liebes- und eine Abschiedsszene. Während dieses Sujet im Doppelkonzert politisch gewendet ist, nämlich als Erinnerung an die Teilung Koreas, erfährt es in der Kammermusik Sonata eine Brechnung ins Privat-Allgemeine. Seinen Freunden Ulla und Harald Kunz gewidmet, zeigt die Komposition – zumindest in den ersten beiden Teilen – das Spiel von Zuneigung, Werbung, erster Annäherung und erfüllter Liebe. Schon durch ihre Klangfarbe führend erscheint die Oboe, Symbol des männlichen Yang-Prinzips, zu der die Harfe den weiblichen Gegenpol bildet, während das Streichinstrument eine vermittelnde Rolle einnimmt.
In den ersten Minuten exponiert Yun Konstellationen, aus der weiträumige Entwicklungen erwachsen. In einer Introduktion mit stilisierten Tanzrhythmen organisiert das Streichinstrument durch Bordunquinten das rhythmische Fundament. Das Innehalten der Zeit auf einem Halteton symbolisiert, daß sich der "Blick" der Oboe nunmehr auf die Harfe richtet. Es beginnt ein Wechselspiel mit zunehmend werbenden Rufen der Oboe und zunächst zurückhaltenden, dann entschlosseneren Antwortgesten der Harfe. Dieser Prozeß wird in mehreren Stadien intensiviert und verdichtet.
Der langsame zweite Teil ist in sich dreiteilig angelegt und thematisiert eine nächtliche Szene mit der Vereinigung der Liebenden im Zentrum. Für den Abgesang – den Abschied – verlangt Yun die Oboe d'amore und modifiziert den Klang der Harfe durch ein Seidentuch, das zwischen die Saiten gewebt wird.
Fast durchgehend konzertant ist die Gestik des raschen Schlußteils, der wiederum mehrere, in sich relativ homogene und zueinander kontrastierende Stadien aufweist.
Walter-Wolfgang Sparrer (1997)
Heinz Holliger / Hirofumi Fukai / Ursula Holliger
Camerata CM22