Bote & Bock
Die vier Abschnitte der knapp viertelstündigen Komposition - ihre Keimzelle ist die um einen Halbton versetzte Kleinterz c-es / cis-e am Beginn - unterscheiden sich durch die Besetzung, die Klangfarben, die Bewegungscharaktere und die Taktarten. Dem in dunklen Farben gehaltenen ersten Abschnitt (6/4; je zwei Bass- und Altflöten) folgt ein spürbar aufgehellter zweiter Abschnitt (4/4; große Flöten). Den raschen, fast schrillen dritten Abschnitt (3/4; zwei große und zwei Piccolo-Flöten) wollte Yun als Sinnbild überzogenen Anspruchs verstanden wissen, als Ausdruck von Egoismus und Maßlosigkeit. Mit dem vierten Abschnitt (6/4; Bass-, Alt-, große und Piccolo-Flöte) verweist er auf einen Zustand jenseits dieses Verhaltens: Weit aus der Ferne erscheint in den Oberstimmen ein tremolierendes Klangband, das die Fläche einer Kleinterz ausfüllt. Resignierend hebt die Bassflöte mit cis-e an, verharrt rezitierend auf e. Wie ein Echo, Elemente eines kontrastierenden Mittelteils entwickelnd, greift die Altflöte diesen Duktus auf: so fern wie die Sphärenklänge erklingt ein kreisendes Quintmotiv um cis. Dessen Rudimente sind in die Schlussphase erinnernd eingesenkt. Yun erprobte hier zum ersten Mal das, was er später "Raum-", "Natur-" oder "kosmischen Klang" nannte.
Das Werk lässt sich jedoch auch buddhistisch lesen als Prozess einer Steigerung, der bis zur Ekstase reicht, um in einem Zustand meditativer Ruhe zu enden.
Walter-Wolfgang Sparrer
Roswitha Staege, Irmela Bossler, Ayla Caymaz, Susanne Winkler
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 002