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Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
Die Kantate Der weise Mann wurde für den Ökumene-Abend des 17. Deutschen Evangelischen Kirchentags komponiert. Die Textvorlage stammt von Walter Böttcher, dem 1985 verstorbenen Leiter des Arbeitskreises Ostasien im Berliner Missionswerk: In den Text aus dem 9. Kapitel des Predigers interpoliert wurden Verse von Lao-tzu.
Das Buch Kohelet (= Prediger Salomo oder Ecclesiastes) ist eine Aphorismensammlung aus der Mitte des 3. Jahrhunderts v. u. Z. Der Prediger ist ein Skeptiker; die Weisheit erscheint als unselige Mühe: »Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens, und wer viel lernt, der muss viel leiden.« Was bleibt, ist das Epikuräische: »Genieße das Leben ..., das du liebhast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat; denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, mit der du dich mühst unter der Sonne.«
Sein Thema ist die Sinnlosigkeit allen Suchens. Das 9. Kapitel bringt zunächst den »Aufruf zur Freude trotz der Eitelkeit des Lebens« und dann das von Yun vertonte Gleichnis zum Verhältnis von Weisheit und Macht, über die »Wertlosigkeit [Nichtigkeit] der Weisheit«, genauer: machtloser Weisheit.
Der Beginn der Kantate Yuns zeigt epische Elemente: Solist und Chor stellen dem Publikum ihre Rollen vor – Prediger und Stimme der Volksversammlung. Flirrende Terztremoli der Streicher und Holzbläser sowie Figurationen des Glockenspiels in hohen Lagen malen, unterstützt von Harfenklängen, die Sonne. Für den vom Chor kommentierten Bericht des Predigers verwendet Yun die schönbergschen Abstufungen zwischen Sprechen und Singen, bevorzugt zunächst den Sprechgesang.
Ein Oboensolo leitet über und führt ein in die Parabel von der kleinen Stadt. Erst der Chor erwähnt den armen Mann (Violoncello solo), dessen Weisheit die Stadt hätte retten können – und stellt anklagend fest, dass keiner an ihn dachte.
Der Prediger schließt daraus: »Weisheit ist zwar besser als Stärke, doch des Armen Weisheit wird verachtet, und auf seine Worte hört man nicht.« Der Komparativ »besser« wird vom Chor aufgegriffen, abwägend hin und her gewendet.
Reflexiv folgt das große Altflötensolo, das Yun später unter dem Titel Salomo separat publizierte, und das hier von wenigen Instrumenten begleitet wird. Ein Trompetensolo (mit Harfe und Streichern) kündigt dann die Worte Lao-tzus an. Sie überhöhen die Skepsis des Predigers; Yun vertont sie als dramatischen Höhepunkt.
Die Stärke des Königs wird sodann relativiert; wie ein Schatten folgt der Satz, dass »gerade Worte« krumm scheinen. Anklagend komponiert Yun die Aussage, dass »der Weisen Worte ... besser als des Herrschers Schreien unter den Törichten« seien. Das »besser« setzt er gleichwohl konsequent in Anführungszeichen und betont so die Relativität dieser Sichtweise.
Als Überleitung zur zwielichtigen Schluss-Sentenz greift Yun auf die Terztriller, die Sonnenmetaphorik des Beginns zurück.
Die Partitur wurde am 11. Mai 1977 in Berlin-Kladow abgeschlossen.
Walter-Wolfgang Sparrer (2002)
Carl-Heinz Müller (baritone) / members of the Kammerchor Ernst Senff / Instrumental-Ensemble Berlin / Peter Schwarz
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 004